Fundamentalismus: Kampf gegen die Moderne

5.11.2014, 11:00 Uhr
Fundamentalismus: Kampf gegen die Moderne

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Wer beim Stichwort Fundamentalismus an Fundament denkt, liegt schon mal richtig. Da assoziiert man Grundsteinlegung, Urbeginn. Da glaubt sich der Leser Auge in Auge mit dem jeweiligen Religionsstifter, bevor die Theologen und Schriftendeuter kamen und scheinbar alles verwirrten. Indes, der Fundamentalismus ist nicht steinalt, sondern ein junges Phänomen. Wie der Referent Andreas Renz, Beauftragter für interreligiösen Dialog im Bistum München-Freising erklärt, erfuhr er erst zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert seinen Aufschwung. Und zwar als Reaktion auf die Errungenschaften der Moderne, der Wissenschaft und der Theologie.

Während die protestantischen Fundamentalisten gegen liberale Theologen und vor allem gegen Darwins Evolutionstheorie zu Felde zogen (und bis heute ziehen), verschanzte sich die römisch-katholische Kirche unter den Pius-Päpsten neun bis zwölf gegen sämtliche Errungenschaften wie Freiheit, Gleichheit, Demokratie und Religionsfreiheit und setzte diesen 1870 das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes entgegen. Zwar bahnte das Zweite Vatikanische Konzil (1962- 65) die Öffnung zur Welt und zu den anderen Kirchen und Religionen, doch entstanden als Reaktion darauf Gruppierungen wie die Piusbrüder.

In den Ländern des Islams erstarkte der Fundamentalismus zur selben Zeit im Kampf gegen die europäischen Kolonialmächte. Man besann sich zuerst auf die verschütteten Errungenschaften der eigenen Kultur, der Wissenschaft und der islamischen Philosophie. Doch auch nach der Unabhängigkeit zogen Fundamentalisten gegen die eigenen Regierungen zu Felde. Ziel war eine Islamisierung der gesamten Gesellschaft nach den Prinzipien der vorkolonialen Vergangenheit.

Wie bekämpfen Fundamentalisten gleich welcher Prägung die Moderne? Mit deren eigenen Mitteln. Entgegen der Propagierung einer vermeintlich besseren Vergangenheit benutzen Fundamentalisten neueste Errungenschaften der Internet-Kommunikation und Waffentechnik. Aus ihren heiligen Texten wählen die Vordenker nur die ihnen genehmen Passagen aus. Hinzu kommt ein dualistisches Weltbild, das nur Gut und Böse, Weiß und Schwarz kennt, aber keine Zwischentöne.

Warum aber fühlen sich so viele junge Menschen davon angezogen, auch und gerade in Europa, gebildet und aus gutem Hause? Die Zielgruppe der Fundamentalisten sind meist junge Männer zwischen 16 und 26 – wobei immer mehr junge Frauen sich anschließen –, meist in sozialen und psychologischen Krisen befangen. Es sind Konflikte im Elternhaus, in der Ausbildung, noch mitten in der Selbst- und Gemeinschafts-Orientierung begriffen, dazu Liebeskummer und Fragen nach dem Sinn des Lebens. Meist erfahren die jungen Leute Diskriminierung am eigenen Leib.

Diesen Menschen bieten die Fundamentalisten eine leicht fassliche Ideologie, persönliche Wertschätzung und Sinngebung bis hin zum Märtyrertod. Gruppendynamische Prozesse bewirken die Abschottung von Familie und Freunden und die Einbindung im Kreis der Gleichgesinnten.

Wie kann man den Fundamentalisten entgegentreten? Wird man sie überhaupt besiegen können? Mit militärischer Gewalt wohl kaum. „Fundamentalismus ist antimodern und zugleich ein Teil der Moderne“, bilanziert Andreas Renz. Wenn überhaupt, dann ist fundamentalistische Denkweise nur an der Graswurzel zu packen, sprich: im persönlichen Gespräch mit dem Einzelnen.

In der anschließenden Diskussion machte Volker Zuber, Pfarrer von St. Michael, noch die psychologisch- anthropologische Perspektive geltend: Letztendlich sei Fundamentalismus jeglicher Art das Resultat von Angst. Nämlich der Angst vor Freiheit, vor Verantwortung, vor Identitätsverlust. Letztlich sei Fundamentalismus nichts anderes als ein Mangel an Vertrauen in Gott.

Nächster Termin am 18. November im Gemeindehaus Auferstehungskirche, Rudolf-Breitscheid-Straße 37

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