Kulturwandel im Klinikum
14.10.2013, 09:00 UhrEs ist keine 15 Jahre her, da hatte die Geburtsklinik, das Nathanstift, lediglich einen Kreißsaal. Nur von Vorhängen und dünnen Wänden getrennt, brachten bisweilen mehrere Frauen gleichzeitig ihre Kinder zur Welt. Männer blieben in der Regel draußen – oder gleich zuhause. Beate Zelinsky kann sich gut an diese Zeit erinnern. Die Hebamme hat in 36 Jahren am Klinikum weit über 5000 Geburten begleitet. „Früher“, sagt sie, „war der eine Kreißsaal Standard.“
Nur: Irgendwann wollten immer weniger Frauen in dieser Umgebung Kinder bekommen. Auch deshalb wurde 1999 die Geburtsklinik umgestaltet. Mehrere einzelne Kreißsäle entstanden. Doch der Abwärtstrend bei den Geburtenzahlen hielt im neuen Jahrtausend an. Die Konkurrenz schlief nicht. Im Großraum entstanden immer mehr Hebammenhäuser, die mit besonderer Wohlfühl-Atmosphäre warben. Erlangen erneuerte 2006 seine Geburtsklinik, das Belegkrankenhaus Hallerwiese in Nürnberg öffnete sich für die breite Bevölkerung.
„Früher“, sagt Beate Zelinsky, „hat man das Kind in der Stadt bekommen, in der man wohnte.“ Seit zehn Jahren beobachtet sie aber einen regelrechten „Kreißsaal-Tourismus“. Die neue Generation habe – zu Recht – eine andere Erwartungshaltung, so die Hebamme. Heute schauen sich Eltern bis zu fünf Kliniken an, bevor sie sich festlegen – und noch vor einiger Zeit zog immer öfter Fürth den Kürzeren. „Wir haben tatsächlich viele Frauen an andere Kliniken verloren“, sagt Professor Volker Hanf. Der gebürtige Kölner übernahm 2005 den Chefposten im Nathanstift – und fragte sich sehr schnell: Was läuft bei uns schief? „Wir hatten damals schon den Ruf, die besten Hebammen Mittelfrankens zu haben“, erzählt er. Der „Pferdefuß“ war offenbar die Wochenstation. Hanfs Schlüsselerlebnis: In der U-Bahn hörte er zwei Frauen über ihre Erlebnisse im Nathanstift reden. Die Geburt war prima, sagte die eine, aber die Wochenstation „schlimm“.
Hanf beschlich das Gefühl, dass man nicht genug auf die Bedürfnisse der Eltern einging, die Mütter zu wenig „mitnahm“. Unter Federführung der Teamleiterin Corinna Knobloch suchte das Nathanstift „neue motivierte Mitarbeiter“. Wochenstation und Hebammen im Kreißsaal sollten sich mehr austauschen. Das Thema Stillen rückte in den Vordergrund: In den neu eingeführten Rückmeldebögen hatten viele frisch gebackene Mütter angegeben, wie wichtig Stillberatung für sie sei. Zudem band man die Väter besser ein. Die heutige Papa-Generation warte ja nur darauf, die erste Wickeleinweisung zu erhalten, sagt Corinna Knobloch augenzwinkernd.
Der Umzug in die neu gebaute Frauenklinik – neben der Kinderklinik – im Oktober 2010 rundete das Bild des neuen Nathanstifts ab. Fast ebenso lange fährt ein Bus der infra, bedruckt mit den Gesichtern kleiner Wonneproppen, durch Fürth und wirbt für eine moderne Geburtsklinik.
Auf der Wochenstation gibt es Familienzimmer, in denen neben Mutter und Kind auch der Papa übernachten kann. Man bietet Still-Infoabende an, eine Stillgruppe, in der sich Mütter austauschen können, wird gerade eingerichtet. Wöchentliche Kreißsaalführungen sind Standard, und Frauen können, wenn sie es denn wollen, ihren Babybauch eingipsen und den Abdruck bemalen.
„Da hat schon ein Kulturwandel stattgefunden“, sagt Corinna Knobloch. Darüber hinaus biete man die „höchste Versorgungsstufe“ für alle Arten von Problemfällen und Komplikationen, die bei einer Geburt auftreten können.
Inzwischen ist Fürth Mitglied der Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ der World Health Organisation (WHO). Diese Häuser legen besonderen Wert darauf, zum einen die Bindung zwischen Eltern und Kind und zum anderen das Stillen zu fördern. „Stillen“, sagt Professor Hanf, „hat viele Vorteile.“ Allerdings dränge man die Mütter nicht dazu. Wenn Frauen sich entscheiden abzustillen, so Hanf, sollten sie das aber ohne Hilfe von Medikamenten tun. Ihm zufolge können sie „heftige Nebenwirkungen“ gerade für die Psyche haben.
Gesunde Vormilch
Seit zwei Jahren überzeugen die Mitarbeiter im Nathanstift alle Frauen, die, „ohne zu stillen, für ihr Kind da sein möchten“, davon, dem Säugling zumindest das „Kolostrum“ zu verabreichen. In dieser sogenannten Vormilch – das habe die Natur perfekt eingerichtet, sagt Hanf – finden sich alle Antikörper der Mutter, die für einen optimalen Nestschutz sorgen. „Das darf man nicht wegwerfen, das muss man verfüttern.“
Die Vormilch wird per Brustmassage ausgestrichen, aufgefangen und dem Baby in den Mund geträufelt. „99 Prozent“ der nichtstillenden Mütter seien nach einer Beratung bereit, ihrem Kind diesen Gesundheitscocktail zu verabreichen, quasi als „Geburtstagsgeschenk“, wie Corinna Knobloch sagt.
Dem Vorurteil, in Kliniken sei man ganz schnell mit einem Kaiserschnitt zur Stelle, tritt Professor Hanf entgegen. Das Wort „Wunschkaiserschnitt“ hört er nicht gerne. Niemand lasse sich mit Freude den Bauch aufschneiden, sagt er. Wenn eine Frau diesen „Wunsch“ verspürt, müsse man fragen, was dahinter steckt. Meist sind es Ängste. Obwohl wirtschaftlich alles für einen Kaiserschnitt spricht – er ist planbar, schnell gemacht und obendrein gibt es mehr Geld von den Kassen – verwende man in Fürth viel Zeit darauf, die Mütter „zu stärken, ihren Weg zu finden“, wie es Hanf nennt. „Es gibt da ja noch so etwas wie Ethik.“ Gelinge es, einer Frau die Ängste zu nehmen, „dann haben wir eine bessere Medizin gemacht“.
Die Geburtenzahlen scheinen dem Kurswechsel im Klinikum Recht zu geben: Seit 2010 geht es aufwärts. 2011 waren es 1860 Neugeborene, 2012 dann 1903 und in diesem Jahr sei man drauf und dran die 2000er-Marke zu knacken. Im September waren es schon wieder 186 Babys – fast so viele wie im Rekordmonat August.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen