Netz mit Sogwirkung
7.8.2016, 16:00 UhrDie Liga der digitalen Pioniere wird angeführt von Männern wie Bill Gates oder Steve Jobs. Tim Berners-Lee, der Erfinder des Webs, ist weder prominent noch reich geworden. Er wollte es so. Der heute 61-jährige Brite verzichtete bewusst zum Beispiel auf Patente, um die Entwicklung seiner Erfindung nicht etwa durch Copyright-Auseinandersetzungen zu behindern.
Erst dank Berners-Lee bahnbrechender Arbeit wurde aber aus dem Internet, das 1991 schon seit mehr als 20 Jahren existierte, das Medium, wie wir es kennen. Die Webseite, die der Wissenschaftler vor 25 Jahren veröffentlichte, war übrigens nicht mehr als ein Textdokument.
Sylvester Scharditzky ist gerade mal 20 Jahre alt. Seine Erinnerungen an erste Blicke auf einen Computerbildschirm sind schon bunt und bewegt: „Da gab es so eine interaktive Seite für Kinder, da ist man rumgeschwirrt und hat irgendwie versucht, ein Marmeladenbrot zu schmieren.“ In der Grundschule sollten dann schon kurze Referate mit Informationen aus dem World Wide Web untermauert werden. Worum es da genau ging? „Hab’ ich vergessen“, lacht Sylvester. „Wichtig waren meine Freunde, aber der Rest . . .“
Heute macht er in Fürth eine Ausbildung zum Augenoptiker und sieht, „nicht nur, weil ich im Einzelhandel tätig bin“, auch die Grenzen des Mediums: „Wenn man zum Beispiel online einkauft, dann geht die persönliche Seite verloren, etwa bei der Beratung. Das ist schade.“ Trotzdem hat er keinerlei Zweifel: „Wir sind die Generation Internetz.“ Sylvester sagt tatsächlich „Netz“. Klingt lässiger.
Das weltumspannende Web interessierte Tanja Nitz schon früh. „Zunächst war ich viel beim Online-Musikdienst Napster unterwegs“, weiß die 44-Jährige noch, „und bei MetaCrawler, einer ersten Suchmaschine.“ Im Rückblick ist sich die Chemielaborantin sicher: „Mir war damals nicht bewusst, wie wichtig das Web wird.“
Heute gehört der Blick auf ein Display für sie „fünf- bis zehnmal“ am Tag dazu, nicht zuletzt auch im Beruf. Aber, sagt Tanja Nitz, manchmal schreibt sie Briefe ganz bewusst noch mit der Hand und bringt sie zu einem ganz realen Postkasten.
Fünf Jahre, nachdem er 1995 sein Unternehmen gegründet hatte, stellte Stefan Wildner (49) seine erste Firmen-Homepage ins Netz. „Das hat uns damals unheimlich geholfen, als neue Agentur Aufmerksamkeit auf uns zu lenken“, sagt der Inhaber und Geschäftsführer von „Wildner Designer – Die Bestien (sic!) im Business“ in Fürth heute. Der Online-Auftritt von einst hatte vor der Startseite eine Flash-Animation und arbeitete mit Icons, das heißt Symbolen, die vielleicht nicht ganz zufällig wie angebissene Äpfel aussahen.
Ein bisschen Nostalgie
„Nicht zuletzt diese Webseite, die von Beginn an für Suchmaschinen optimiert war, hat es uns ermöglicht, zu wachsen“, ist sich Wildner sicher. Ein bisschen Nostalgie kommt auf, wenn er sich erinnert: „Das war ein unheimliches Gefuzzel, um Kilobytes zu sparen, damit alles einigermaßen schnell läuft und trotzdem interessanter Inhalt rüberkommt.“ Eine ISDN-Karte machte in der Agentur dem Computer Beine, zu einer Zeit, als verträumte Modems noch die Regel waren: „Die Datenübertragung war teuer, aufwendig, störungsanfällig und trotzdem unheimlich langsam“, sagt Wildner.
Eine Erfahrung, die Alexander Reh so nicht kennt. Der 18-jährige Schüler hat wie viele die Verbindung zur Welt auf dem Smartphone immer dabei. Auch wenn er für seinen Sport, das Power-Lifting, trainiert, kann er jederzeit mal kurz bei YouTube oder Facebook vorbeischauen. Ein Telefongespräch führt er bloß noch, wenn länger erzählt werden soll. „Sonst schreibe ich die anderen über WhatsApp an.“ Sein Kommentar zum 25. Geburtstag der ersten Webseite heißt: „Im Endeffekt sind wir heute vom Internet abhängig – jeder benutzt das doch.“
William Forster ist als Webdesigner seit 2000 bei der Stadt Fürth. Der 59-Jährige weiß noch, dass er bereits Mitte der 90er seine erste Seite erstellt hat. „Für mich war das in meiner Zeit als Freiberufler eine interaktive Visitenkarte.“ Die aktuelle Web-Präsenz der Stadt Fürth hat heute nicht mehr viel Ähnlichkeit mit den Anfängen: „Inzwischen sieht das natürlich ganz anders aus, auch weil technisch viel mehr möglich ist.“ Fragt sich natürlich: Wie geht diese Entwicklung weiter? „Ich denke, dass große PCs mehr oder weniger ausgedient haben. Mobile, handliche Geräte sind gefragt.“
Für die Zukunft tippt Forster allerdings zunehmend auf Brillen, die ihre Benutzer in eine Virtual Reality entführen, eine künstliche Welt. „Wenn wir alle mit diesen Dingern herumlaufen, stellt sich natürlich die Frage, ob wir dann noch Menschen sind? Oder schon Roboter?“
Begeistert klingt das nicht. Denn der versierte Web-Designer sieht die Gefahren, die in einer solchen Entwicklung liegen: „Wie leicht es ist, unaufmerksam zu sein, zeigt uns ja gerade ,Pokémon Go‘.“ William Forster ahnt: „Spätestens, wenn diese Virtual-Reality-Brillen üblich sind, muss sich die Gesellschaft fragen: Hej, was machen wir hier denn überhaupt?“
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