2. Literarischer Spaziergang in Gunzenhausen

29.4.2017, 17:30 Uhr
2. Literarischer Spaziergang in Gunzenhausen

© Tina Ellinger

Das Tor steht sperrangelweit offen, der unverkennbare Geruch von Papier und Farbe hängt in der Luft. Etwa in der Mitte der großen Halle steht ein Tisch, eine grüne Decke darauf. Drumherum sind Bänke aufgestellt und warten darauf, besetzt zu werden. Und das dauert nicht lange, schon strömen die Besucher herein, neugierig auf das, was sie hier, im Herzen der Druckerei Emmy Riedel, erwartet.

Wann hat man schließlich die Gelegenheit, hinter die Kulissen zu blicken, die Maschinen in Augenschein zu nehmen, die tagtäglich die unterschiedlichsten Druckerzeugnisse auswerfen, wie Mitarbeiter Wolfgang Kokula erzählt. Doch das Gebäude in der Weinstraße beherbergt nicht nur die alteingesessene Gunzenhäuser Druckerei, auch die Redaktion des Altmühl-Boten ist dort während der Umbauarbeiten des Gebäudes auf dem Marktplatz untergebracht. Da lag es nahe, dass sich Redakteurin Marianne Natalis unter die Vorleser mischt und passend zum Umfeld zum Buch "Die tote Kuh muss morgen rein" von Ralf Heimann greift.

Von der Stadt aufs Land

Nein, keine Sorge, es geht nicht wirklich um tote Tiere, sondern auf sehr humorvolle und unterhaltsame Weise darum, was eine Tageszeitung in der Stadt von einer auf dem Land unterscheidet. Genau dahin, irgendwo aufs Land, wird Journalist Ralf Heimann geschickt, um eine Kollegin in Elternzeit zu vertreten. So wird er zum Pendler und muss sich mit Taubenzüchtern, Schützenfesten und Ausstellungen fraglicher Künstler auseinandersetzen.

2. Literarischer Spaziergang in Gunzenhausen

© Tina Ellinger

Gelacht werden darf auch in der Nachbarschaft, bei RF Plast, wo Geschäftsführerin Nadine Amesöder ein lauschiges Plätzchen für die Literaturspaziergänger gefunden hat. Während nebenan die Maschinen pfeifen — schließlich muss die Produktion auch an diesem Abend weitergehen —, amüsieren sich die Gäste über Serge Marquis’ überquellende Gedanken, die er in "Ich muss nicht alles glauben, was ich denke" zusammengefasst hat. Rainer Hochreiter verleiht dem Grübler seine Stimme und gibt wertvolle, herrlich vergnügliche Tipps zur "Meditation im Handeln". Ob Gott nun allerdings ein Hamster ist, kann auch er nicht abschließend klären — eine offene Frage, mit der er sein Publikum heiter rätselnd weiterziehen lässt.

Ziel ist die Firma Verpa Folie in der Industriestraße, wo die bequemen Sessel und Sofas im Eingangsbereich sofort in Beschlag genommen werden. Und auch das Büfett, das Werkleiter Marco Stenglein organisiert hat, erfährt starken Zuspruch, bevor man mit Kerstin Zels eine Reise in die Zukunft antritt, und zwar in "Die Welt ohne uns". Alan Weismann lässt darin die Menschen von heute auf morgen von der Erde verschwinden und stellt die Frage, was das mit dem Planeten macht. Wie lange dauert es, bis sich die Natur ihren Raum zurückerobert, bis der Regenwald die Plantagen überwuchert und die Meere wieder voller Fischschwärme sind? Überlegungen, die nachdenklich stimmen und auf dem Weg zur nächsten Station nachhallen.

Dort wimmelt es vor Menschen im weißen Kittel. Was zunächst vielleicht etwas irritieren mag, hat einen handfesten Grund: Die Mäntel dienen dazu, die Produkte der Sanmina-SCI vor Überspannung zu schützen, erklärt Werkleiter Ottmar Bieber den Zuhörern, die daher ebenfalls in diese Schutzkleidung schlüpfen müssen. Genau wie Kristy Husz, die mit "Homo Faber" von Max Frisch eine wunderbare Brücke zur Lokalität schlägt, die einen eindrucksvollen Blick auf die laufende Produktion erlaubt. Hauptfigur des Klassikers ist Ingenieur Walter Faber, dem es Freude macht, Maschinen in Betrieb zu sehen, und dem die Logik fast näher zu sein scheint als die unberechenbare menschliche Gefühlswelt.

Was ist eigentlich Safran?

Den menschlichen Bedürfnissen ein bisschen näher ist man dagegen in der Backstube der Bäckerei Kleeberger, wo es herrlich nach frischem Brot duftet und einem sofort das Wasser im Mund zusammenläuft. Kein Wunder, dass Christine Höller für ihren Leseort sofort das Kinderlied "Backe, backe Kuchen" in den Sinn gekommen ist und sie zum Einstieg humorvoll über den Safran sinniert. Von den Krokusblüten geht es jedoch mithilfe des Buchs "Stadt der Diebe" von David Benioff flugs nach Leningrad im Jahr 1942.

Mitten in der Backstube

Eingeschlossen von der deutschen Wehrmacht, fehlt es der Bevölkerung an allem, die Not ist riesig. Die beiden Jugendlichen Lew und Kolja warten im Gefängnis auf ihre Hinrichtung, der eine wegen Plünderei, der andere wegen Fahnenflucht. Da bekommen sie eine Chance, ihr Leben zu retten: In sechs Tagen müssen sie es schaffen, zwölf Eier für die Hochzeitstorte der Tochter eines hohen Offiziers aufzutreiben. In der ausgehungerten Stadt ein aussichtloses Unterfangen ...

Hungrig und durstig muss in der Gunzenhäuser Backstube dagegen niemand bleiben.

Noch dazu lädt die liebevolle Dekoration, für die Katrin Kleeberger mitten zwischen den großen Rührschüsseln, Ofen und Brotkörben gesorgt hat, auch nach Ende des Spaziergangs zum Verweilen und zum Austausch über diesen gelungenen Abend voller literarischer Häppchen ein.

 

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