Donau-Kreuzfahrt auf dem Altmühlsee
7.11.2017, 05:55 UhrPiroschka heißt im wirklichen Leben Kristy Husz, ist als Tochter ungarischer Eltern in Deutschland geboren und zweisprachig aufgewachsen. Es gibt also kaum eine bessere Botschafterin für die ungarische Kultur als die Literaturwissenschaftlerin. Fakten aus Politik und Geschichte, Typisches und Kurioses ließ sie in ihre Moderation zu den literarischen Texten einfließen und zeichnete ein sympathisches Bild der Magyaren und ihrer Eigenwilligkeiten.
Als erste Texte hatte die Rezitatorin Ausschnitte aus Hugo Hartungs Roman "Ich denk so oft an Piroschka" ausgewählt. Hugo Hartung ist zwar kein ungarischer Autor, doch die Verfilmung seines Romans mit Liselotte Pulver in der Titelrolle ist wohl bis heute prägend für das Kopfkino, das bei der Erwähnung ungarischer Sehnsuchtslandschaften wie Puszta und Balaton abgerufen wird.
Unaussprechliches Wort
Andreas, ein junger Austauschstudent, fährt im Zug nach Hódmezvásárhelykutasipuszta, ein für jeden Nicht-Ungarn unaussprechliches Wort. Genau mit dieser Tatsache spielt der Autor, als er einen Mitreisenden auftreten lässt, der nicht müde wird, den Namen des Ortes zu nennen und diesen gleichzeitig schlechtzureden.
"Freiheit, Liebe! Die beiden brauche ich. Für meine Liebe opfere ich das Leben, für die Freiheit opfere ich meine Liebe." – Dieses kurze Gedicht Sándor Petöfis aus dem Jahr 1847 kennen – so Kristy Husz – wohl fast alle Ungarn. Geschrieben wurde es, als das ungarische Volk sich gegen die Habsburger auflehnte, in den Jahrhunderten vorher, musste es die Besetzung durch die Osmanen erdulden. Der Wunsch der Ungarn nach Autonomie kommt in diesen wenigen Verszeilen zum Ausdruck.
Zu den großen Dichtern des Landes zählt auch Attila József, sein Geburtstag wird in Ungarn als "Tag der Poesie" gefeiert. 1945 wurde dem Dichter ein Denkmal in der Nähe des Parlaments errichtet, das die Orban-Regierung 2012 entfernen wollte. Nach Protesten zahlreicher Intellektueller wurde die Skulptur ans Ufer der Donau versetzt. Vielleicht wäre dies dem Dichter sogar recht gewesen: "An der Donau" heißt eines seiner bekanntesten Gedichte, das Kristy Husz las.
An einen unbeschwerten Aufenthalt auf dem Lande erinnert sich der auch in Deutschland sehr bekannte Autor in "Bekenntnisse eines Bürgers". Die von Kristy Husz ausgewählte Szene beschreibt, wie das Idyll der Ferienkolonie kippt: Eben noch erwarteten alle aufgeregt und festlich gestimmt die Bekanntgabe einer Verlobung, als die Nachricht von der Ermordung des Thronfolgers, des Erzherzogs Franz Ferdinand, eintrifft. Der junge Sándor erfühlt eher, als er denn begreift, dass die Stimmung kippt: "In der tiefen Stille klang die Zigeunermusik so nahe, als spielte sie in unserem Garten. Die Zwiebelmustertassen in der Hand, saßen wir reglos um den Tisch, irgendwie erstarrt an einem toten Punkt, wie in einer Pantomime. Ich folgte Vaters Blick, er richtete ihn ratlos zum Himmel."
Das Exil ist in der neueren ungarischen Literatur immer noch ein Thema, denn nach dem Ungarn-Aufstand im Jahr 1956 verließen viele Intellektuelle und politisch Engagierte ihr Heimatland. So auch die Eltern des britischen Autors Tibor Fischer und der deutschsprachigen Schriftstellerin Zsuzsa Bánks, die Kristy Husz als Stellvertreter der Gegenwartsliteratur auf ihre Leseliste gesetzt hatte.
Ferenc Hoffmann nannte sich nach seiner Übersiedlung nach Israel Ephraim Kishon, und er durfte selbstverständlich im Reigen der ungarischen Autoren nicht fehlen. In der Satire "Gebrauchsanweisung" beschreibt er, wie er von einer hartnäckig sein Ohr besetzenden Fliege daran gehindert wird, "eine beißende Satire gegen das Establishment" zu verfassen.
Magenbitter Unicum
Beim letzten Text des Abends konnten die Zuhörer dann mitreden, denn es ging um ungarische Spezialitäten. Bei dem Reiseautor Thomas Bauer sind es unter anderem Paprika, Salami und Gewürzlebkuchen, die ein Tourist unbedingt vor dem Verlassen des Landes noch einkaufen sollte. Kristy Husz hatte für ihre Zuhörer eher an flüssige Mitbringsel gedacht, und so gab es harmlosen Himbeersirup, einen hochprozentigen Aprikosen-Obstbrand Namens Pálinka und einen Magenbitter mit dem schönen Namen Unicum, den Kaiser Josef II von seinem damaligen Hofarzt Dr. Zwack verabreicht bekam.
Kristy Husz erzählte von den Verwandtschaftsbesuchen in Mohács, der Heimatstadt ihrer Eltern an der serbisch-kroatischen Grenze: "Die Sommer meiner Kindheit schmecken nach Himbeersirup". Der Kapitän der "MS Altmühlsee", Herbert Guthmann, übernahm die Rolle des Dr. Zwack und schenkte großzügig ein. Die "Gipsy Boys" alias Ekkehard Lindauer (Akkordeon und Bratsche) und Matthias Scherzer (Gitarre) sorgten mit Csárdás, Klezmer und Gipsy-Swing für gute Laune.
Für Kristy Husz und alle Zuhörer ging die Rechnung auf. Das Prost auf Ungarn, auf die Musik und die Literatur erscholl mehrfach über dem mondbeschienenen Altmühlsee, und der Kapitän drehte noch eine Extrarunde für seine sich froh zuprostende Besatzung: Egészségedre!
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