Dylan und Dylan in Gunzenhausen
23.11.2016, 17:28 UhrGrößtenteils chronologisch angeordnet waren die Gedichte, Briefe, autobiografisch geprägten Erzählungen und Essay-Schnipsel, die Schnell und Husz mitgebracht hatten und dem gebannt lauschenden Publikum vorlasen. So kamen die Kindheitserinnerungen des Autors ebenso zu Gehör wie seine schriftliche Liebeserklärung an Laugharne, das ländliche Fischernest in Südwales, in dem er seine letzten Jahre verbrachte und das ihn zu seinem Hauptwerk, dem auszugsweise ebenfalls präsentierten Hörspiel „Unter dem Milchwald“, inspirierte.
Dazu gab es Passagen aus den Brief-korrespondenzen mit Thomas’ erster Freundin Pamela Hansford Johnson sowie seiner Ehefrau Caitlin; mit ihr, einer Tänzerin, die ihm an Temperament und Trinklust in nichts nachstand, zeugte der chronisch mittellose Künstler drei Kinder und führte eine äußerst turbulente Beziehung, deren Höhen und Tiefen die vielen „Hafner“-Besucher begierig mitverfolgten.
Eine vor kauzigen Figuren wimmelnde, aber warm menschelnde „short story“ durfte schließlich gleichfalls nicht fehlen, und natürlich Beispiele seiner leidenschaftlichen Lyrik, welche die beiden Rezitatoren mit persönlichen Geschichten darüber, wie und wo sie das erste Mal auf Dylan Thomas aufmerksam wurden, garnierten.
Dass der von Schnell als „Wortzauberer“ und „saufender Pan“ bezeichnete Poet – quasi einer der ersten Rockstars seiner Zunft – bereits im Alter von 39 Jahren starb, sicherte ihm wohl auf ewig einen Platz im Dichter-Olymp, bewahrte ihn letztlich jedoch nicht davor, im 21. Jahrhundert langsam in Vergessenheit zu geraten. Die Veranstaltung wollte dem allerdings nicht nur mit einer rein literarischen Gedächtnisfeier entgegenwirken, sondern auch auf musikalische Art. Diesen Part übernahm Matthias Scherzer, welcher die Gäste auf seiner Mundharmonika und zwei Gitarren mit auserlesenen Bob-Dylan-Interpretationen begeisterte.
Robert Allen Zimmerman, wie der jüngst passenderweise mit dem Literaturnobelpreis bedachte Sänger und Songwriter aus den USA mit bürgerlichem Namen heißt, hat sein Pseudonym möglicherweise zwar nicht, wie gern gemunkelt wird, als Verneigung vor Dylan Thomas gewählt. Trotzdem spiegelten und ergänzten seine Lyrics, ob die von „Don’t Think Twice, It’s All Right“, „Mr. Tambourine Man“ oder „It’s All Over Now, Baby Blue“, hervorragend die vorgetragenen Texte und können in ihrem Bedeutungsreichtum, ihren Wortspielereien und sprachlichen Bildern kongenial mit dem Meister aus Wales mithalten.
Nackenhaare stellten sich wohlig auf
Diesem wiederum soll die Musikalität seiner Schöpfungen extrem wichtig gewesen sein, und bei Autorenlesungen stellte er sie, halb wie ein Prediger, halb als Rhapsode, mit brandendem Singsang in der Stimme eindrucksvoll unter Beweis. Zwei seiner Gedichte waren deshalb im englischen Originalton zu vernehmen, was im ehrfürchtig horchenden Publikum nicht wenige Nackenhaare wohlig aufstellte.
Am Ende musste dann noch eine hoch angesetzte Messlatte überboten werden. Nach eigenen Angaben hatte Dylan Thomas 18 Gläser Whisky getrunken („Ich denke, das ist der Rekord.“), bevor er ins Koma und wenige Tage später seiner Pneumonie zum Opfer fiel. Mit vereinten Kräften „tankte“ man im „Hafner“ nun tatsächlich 20 Einheiten des Edelsprits, was dem gemütlichen Ausklang des Abends sicher nicht schadete und dem dauerdurstigen Schriftsteller vermutlich gut gefallen hätte.
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