Karpfenstein am Hals
13.3.2014, 09:00 Uhr„Die meisten finden ihn gar nicht“, sagt Martha Hebendanz und grinst. Sie schon. Die Rentnerin aus Nürnberg weiß genau, wie sie den Fisch sezieren muss, um an den Stein zu kommen. „Er sitzt im Hinterkopf.“ Wenn sie raus aufs Land in den Aischgrund fährt, um Karpfen zu essen, bekommt sie nie filetierten Fisch serviert. Man kennt sie und ihren Mann Gerhard inzwischen. Alle paar Wochen gehen die beiden auf Schatzsuche.
Fast immer mit Erfolg. Die Beute lagert Hebendanz zuhause in einem Plastikfläschchen. Unzählige Klumpen kullern heraus, trüb, die Konsistenz ist merkwürdig, knorpelig. Wie Juwelen sehen die Karpfensteine nicht gerade aus. Kein Wunder, der Karpfenstein ist die Kauplatte des Fisches, er braucht sie zum Fressen. Eine Mischung aus Knochen und Knorpel.
Martha Hebendanz verwandelt diese Brocken binnen 15 Minuten in einen glänzenden Edelstein. Geschickt schleift die Zahntechnikerin die Kanten ab, bis die Oberfläche glatt ist und glänzt. Sie bringt die Farbe des Steins zum Strahlen: Wie Bernstein leuchtet er nun. 40 solche Perlen baumeln an einer edlen Goldkette.
Mehr als 40 Karpfen haben das Ehepaar und ihre Freunde dafür verdrückt. Denn: „Oft wird beim Schlachten ein Stück abgehauen, dann ist der Karpfenstein nicht mehr brauchbar“, sagt Hebendanz. „Und manche sind hässlich. Je größer der Fisch, desto größer der Stein. Man muss schon genau wissen, wo er sitzt, um ihn aus dem Grätenskelett herauszupulen.
Einst im Mittelalter rankten sich verschiedene Legenden um den Karpfenstein. „Früher glaubte man, nur manche Fische haben ihn“, erzählt Martin Oberle, der sich als Leiter des hiesigen Amtes für Teichwirtschaft schon ausgiebig mit dem Karpfenstein befasst hat. Heute weiß man: Jeder Karpfen hat die Kauplatte. Doch das Gerücht, nur ausgewählte Fische hätten ihn, verlieh ihm freilich eine besondere Aura.
Man schrieb dem Stein heilende Wirkung und magische Kräfte zu. „Die Menschen rieben den Karpfenstein und mischten ihn unters Essen“, so Oberle. Gegen Bauchschmerzen, Choliken, ja selbst gegen Nasenbluten und bei schlechten Augen verabreichten Kenner das Pulver. Als Amulett um den Hals sollte der Stein vor Krankheit und Verderben schützen.
Das ist wahrlich nicht der Grund, warum Martha Hebendanz heute Fisch-Schmuck designt. Für die 72-Jährige ist das nicht mehr als ein Hobby. Im Gegenteil, der Rummel, den manche darum veranstalten, ist ihr schon wieder zu viel. Etliche Anfragen, ob sie nicht mehr Ketten produzieren und verkaufen könnte, hat sie abgelehnt. Lediglich dem Karpfenmuseum in Neustadt hat sie eines ihrer Werke als Dauerleihgabe überlassen. Dort hängt im Schaukasten eine ihrer Goldketten mit Karpfenstein. Aber die Rentnerin weiß genau: „Ich will daraus kein Gewerbe machen.“ Überhaupt, ist es ihr ein bisschen viel geworden mit den Karpfensteinen, Gerade produziert sie gar nichts. Fünf Ketten und zwei Armbänder hat sie insgesamt hergestellt. Das soll vorerst auch einmal reichen.
Zum Unmut von Martin Oberle. „Das wäre eine regionale Nische“, bedauert er. Er sieht im Karpfen großes Potenzial: Schmuck, Handtaschen und Klamotten könnte man aus Karpfen herstellen. Denn das Fischleder sei weich und geschmeidig. Er selbst hat eine Krawatte aus Fischleder. In seinem Geldbeutel trägt Oberle immer einen Karpfenstein mit sich. Der Stein soll dafür sorgen, dass das Geld nie ausgeht.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen