Tiroler nimmt seinen Hut
15.10.2015, 16:51 UhrDer „Tiroler“ war in den vergangenen 43 Jahren Treffpunkt für Stammtischrunden, die Turnerfrauen, Anlaufpunkt für die Rettungskräfte, Familientreffen bei Geburtstagen, Kommunion, Hochzeiten, Taufen.
Ehdem Wohnzimmer für Schulschwänzer, war das Gasthaus letzte „Nahrungstankstelle“ mit Essen zum Abholen zu Zeiten, als die Lanthalers nach „dem Pamfilo“, der Pizzeria Italia, erst das zweite Ristorante mit italienischen Speisen in Herzogenaurach eröffneten.
In jüngerer Zeit wurde an Sonntagen morgens im Garten Live-Musik gespielt. Auch in kinderwagen-gerechten Umbau investierten die Lanthalers. „Ich fühl mich wohl bei euch“, hörten sie oft von Gästen.
Annemarie Lanthaler erzählt mit sichtlichem Bedauern und Abschiedsschmerz, dass der 1. November ihr letzter Arbeitstag sein wird. Grund ist die schwere Erkrankung ihres Mannes. Allein kann sie den gastronomischen Betrieb nicht bewältigen. Nach vergeblichen Versuchen, das schmucke Gebäude mit Walmdach für eine weitere Restaurantnutzung zu verpachten, verkaufte sie das Anwesen mit 1080 Quadratmetern an die Globus Gruppe. Konzepte für eine Neubebauung liegen bereits im Planungsamt, sagt sie.
Die Lanthalers stammen aus Meran in Südtirol. Martin Lanthaler, Jahrgang 1943, ließ sich von Schaeffler als Arbeiter in der Produktion anwerben und schulterte von 1972 bis 1986 den Fabrik-Arbeitstag und das Gasthaus.
Seine Kochkünste hatte er sich während der Sommersaison in Italien angeeignet, wo er jeweils drei vier Monate in Bibione, Rimini oder Riccione in den Küchen half.
Seine Frau Annemarie, Jahrgang 1945, wuchs mit Italienisch und Deutsch auf. Als Verkäuferin arbeitete sie in jungen Jahren in einem Souvenirladen mit Zeitungen und Tabak.
Anfänglich tat sie sich schwer mit dem Herzogenauracher Dialekt. Wettgemacht wurde dies jedoch durch die Beliebtheit, die die südtirolerisch-italienische Küche bald bei den Kunden genoss. Nachgefragt wurden die Speckknödel aus ihrer Heimat, ihr Meraner Schnitzel, die Pizza mit viel Käse und das beachtliche Cordon bleu.
2009, als „Zum Tiroler“ längst mit über einem Dutzend italienischen Restaurants in Herzogenaurach konkurrieren musste, nahmen die Lanthalers an der Fernsehsoap „Rach, der Restauranttester“ teil und sorgten für Stadtgespräche.
Der Hamburger Spitzenkoch riet den Lanthalers zu abgespeckter Speisekarte und weniger üppigen Gerichten. Statt dessen erschuf er Pizzen wie die „Blöde Ziege“ oder „Herzog von Tirol“. Die Preise setzte er nach oben.
Das Konzept verfing nur in geringem Ausmaß. Einige der bei der Stammkundschaft beliebtesten Gerichte sollte es nicht mehr geben.
Nach drei Monaten mit neugierigen Gästen ließ der Kundenstrom nach. Die Lanthalers passten sich den Gegebenheiten an, setzten die Preise wieder auf Normalmaß und kochten ihr „Best of“. Dazu blieben sie kreativ und kundenorientiert. Kinder und auch linienbewusste Frauen bestellten gern die Mini-Pizza für 3,20 Euro.
Dennoch sei es lustig gewesen mit dem Sternekoch und eine gute Lehre, blickt Annemarie Lanthaler zurück: „Ein freundlicher Mann, der Rach.“ Von der „Konterrevolution“ auf der Speisekarte hat er allerdings keine Ahnung. Gäste zu erziehen, das sei nur in Grenzen möglich, hat die Gastronomin erfahren: „Und in Herzogenaurach erst recht nicht.“
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