Mord im Kirchturm bei der Criminale
24.5.2014, 19:10 UhrWie bringt man Menschen am besten um die Ecke? Eine Frage, die Krimiautoren - selbstredend aus rein beruflicher Sicht - umtreibt. "Es ist ein großes Vergnügen, sich darüber mit den Kollegen auszutauschen. Andere Leute schauen einen da schnell schief an", weiß Christine Brand aus leidvoller Erfahrung.
Die Schweizerin ist eine von über 220 Autorinnen und Autoren, die zum größten deutschen Krimi-Festival nach Franken gereist sind. Im Brotberuf ist Brand Redakteurin bei der Neuen Zürcher Zeitung. Warum sie Krimiautorin wurde? "Das liegt mir in den Genen", meint sie bei der Lesung im Historischen Nürnberger Rathaussaal auf die Frage von Moderator Volker Isfort: Der Vater war Bestatter, das Autofahren hat Teenager Christine im Leichenwagen gelernt, da passt der erste Job als Gerichtsberichterstatterin ins Bild.
Ihr neuer Roman "Kalte Seelen" spielt im Ausländerhasser-Milieu. Und damit ist die Schweizerin das ideale weibliche Pendant zum deutschen Star-Autor Friedrich Ani. Er stellte zusammen mit Brand seinen preisgekrönten Roman "M" vor, dessen Protagonistin durchaus Ähnlichkeiten mit Beate Zschäpe hat. Beide Autoren berichten, dass sie beim Schreiben ihrer Bücher durch den NSU-Prozess gewissermaßen von der Wirklichkeit eingeholt wurden. Für Brand bedeutete das Umdenken: "Ich musste auf Seite 120 einen neuen Mörder einführen, weil mir die Realität zuvorgekommen war."
Ausweiskontrolle, Sicherheitscheck und bloß nicht von der Gruppe weichen: Für manche Lesungen bei der Criminale gelten harte Regeln. Vor allem dann, wenn man dafür sensible Bereiche passieren muss. So wie für den Termin im Flughafenbus am Airport Nürnberg. Bis es losgeht, ist schon mal fast eine halbe Stunde um. Wie vor Flügen muss das Handgepäck durchleuchtet werden, wer mit einem lauten "Piiiiip" die Schleuse passiert, wird vom Sicherheitspersonal intensiv abgetastet. Schließlich sind auch Freunde der Kultur nicht per se des Anschlagsgedankens unverdächtig.
Aber der Aufwand lohnt. Im Bus, der gut eine Stunde lang über das weitläufige Gelände fährt und Einblicke in für Normal-Reisende unzugängliche Areale gewährt, präsentieren Marlies Ferber aus dem Ruhrgebiet und Günther Zäuner aus Wien ihre spannenden Geschichten, die mit Reisen im Allgemeinen und den Flüchen der Globalisierung im Besonderen zu tun haben.
Ferber, die studierte Sinologin, liest aus ihrem am 1. Juni erscheinenden Buch "Mord in Hangzhou", Zäuner beschäftigt sich in "Koschanskys tödliche Jeans" mit den menschenverachtenden Arbeitsbedingungen bei der Textilherstellung für West-Firmen in Dritte-Welt-Ländern. Die Akustik im Bus ist nicht optimal, immer wieder wird sie durch Düsentriebslärm von Flugzeugen oder lauten Auftanken auf dem Rollfeld beeinträchtigt. Dabei zeigt sich wieder einmal: In allem Schlechten steckt auch was Gutes. Denn wäre am kriselnden Nürnberger Flughafen mehr los, wäre so eine Bus-Lesung gar nicht möglich.
Auch auf der Uhrenebene des Glockenturms der Fürther Kirche St. Paul wäre die Lesung vor einem Jahr noch gar nicht möglich gewesen: Der Raum wurde erst jetzt zugänglich gemacht. "Es wird eng und es wird heiß", versprach Kulturamtsleiterin Claudia Floritz und schickte gleich hinterher: "Wenn‘s gar nicht geht, bekommen Sie Ihr Geld zurück!". Das allerdings wollte keiner der Gäste, die schwitzend und tapfer auf Bierbänken sitzend den Autoren Anne Grießer, Anne-Kathrin Koppetsch (eine Dortmunder Pfarrerin) und Toni Feller, Kriminalhauptkommissar im Ruhestand, lauschten.
Das Trio mutete Gastgeber Martin Adel so einiges zu, doch der Pfarrer trug‘s mit Humor und Fassung: Grießer, eine wunderbare und versierte Vorleserin, widmet sich in "Das Heilige Blut" dem Thema Reliquienfälschung, Koppetsch lässt ihren Roman im Rotlichtmilieu spielen. Toni Feller sorgte für bedrückende Momente, als er eine Stelle aus seinem Roman „Die Sünde“ las, in dem der sexuelle Missbrauch eines Kindes durch einen katholischen Pfarrer eschildert wird, und sagte: "Ich will eine Lanze für die Opfer brechen."
Noch bis Sonntag gibt es zahlreiche Criminale-Veranstaltungen. Bisher gilt: Je ungewöhnlicher der Ort, desto mehr Besucher. Wer will, kann am Samstag unter anderem die dunkle Seite des Nürnberger Volksbads ergründen (16 Uhr) oder am Sonntag um 9.30 Uhr beim Krimi-Gottesdienst in der Kirche St. Matthäus in Fürth-Vach dem "Tatort Bibel" nachspüren.
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