Es gab einmal nur Neumarkter
23.9.2011, 00:00 UhrDie groben Entwicklungslinien sind bekannt. Wann sich jüdische Mitbürger wo und warum ansiedelten, warum ihre Neumarkter Mitbürger sie wieder vertrieben und sie sich wieder ansiedeln durften; welche herausragenden Leistungen sie gerade auf dem wirtschaftlichen Sektor für Neumarkt erbrachten, dass sie das Leben in der damals kleinen Kreisstadt kulturell bereicherten.
Alles zusammengetragen
Hans G. Hirns großer Verdienst ist es, dass er all’ diese Informationen aus Zeitungsartikeln, Matrikelbüchern, handschriftlichen Aufzeichnungen, Privatarchiven, dem Stadtarchiv, Handbüchern und Aufzeichnungen an verschiedenen Stellen und vielen Quellen mehr nun zusammen getragen hat.
Und: Er hat die Geschichte der Neumarkter Juden während des Dritten Reiches bis in den kleinsten Winkel ausgeleuchtet. Noch lebten Zeitzeugen, die bereit waren, sich an diese schrecklichen Jahre zu erinnern. Viele Details dieser Interviews sind in drei umfangreiche Kapitel eingeflossen, in denen Hirn die Geschichte der jüdischen Gemeinde in den Anfangsjahren des Dritten Reiches, die Pogromnacht und die letzten Jahre der jüdischen Gemeinde bis 1942, als die letzten Neumarkter jüdischen Glaubens deportiert worden sind, sorgfältig und detailliert aufarbeitet.
Ausführlich behandelt Hirn auch die Zeit des Nationalsozialismus in Neumarkt und die Verquickungen und Verbindungen zwischen den Nationalsozialisten und den Neumarktern, von denen in den Jahren nach dem Krieg jeder wusste, es aber nicht wissen wollte. Mit dem Laufe der Zeit hat sich die Bereitschaft der Augenzeugen, doch noch ausführlich das selbst Erlebte auch in Interviews preiszugeben, erhöht und so konnte Hans Hirn noch viele Puzzlestücke aus jener Zeit zusammen tragen und zu einem großen Bild zusammen setzen, das nun nicht mehr viele Leerstellen hat.
Unermüdlich hat Hans Hirn aber auch über die Neumarkter jüdischen Glaubens selbst geforscht. Hatte es in den Jahren nach dem Krieg oft geheißen, mit dem Brand des Rathauses seien alle Dokumente aus jener Zeit verbrannt, konnte Hans Hirn nun den gegenteiligen Beweis antreten. Es ist noch mehr da als gedacht, man muss nur an den richtigen Stellen ansetzen und beharrlich am Faden weiter ziehen, hat man ihn denn einmal in der Hand. Und Hans Hirn hat viele Fäden entdeckt und beharrlich gezogen.
Besonders eindringlich sind die Stellen, in denen sich Hans Hirn den Neumarktern jüdischen Glaubens widmet. Hochzeitsanzeigen, Inserate, Traueranzeigen, Bilder von Vereinsausflügen, Gruppenfotos von Vereinen und mehr: Es gab nur Neumarkter, wenn auch unterschiedlichen Glaubens. Besonders eng war das Miteinander, schreibt Hirn, in der Zeit des Ersten Weltkrieges, als es üblich war, in den Kirchen beider Konfessionen sowie in der Synagoge in eigenen Gebetsgottesdiensten aller im Feld stehenden Soldaten zu gedenken.
Umso unvorstellbarer dann, was nach 1933 geschah. Wie es in Neumarkt so weit kommen konnte, arbeitet Hirn akribisch auf, folgt dabei auch den Spuren der Nazis. Hitlers Besuche in Neumarkt, Dietrich Eckart, Christian Weber, Albert Reich, Hirn fügt alles zusammen.
Vor allem die Einzelschicksale der Neumarkter jüdischen Glaubens sind es, die sehr berühren. Die Erzählungen von Ernst Haas beispielsweise, dem einzigen Neumarkter Juden, der die Gräuel der KZ überlebte. Das schreckliche Schicksal seiner Eltern und seiner Schwester Ilse, das Grundlage für das Musical „Der letzte Brief“ war.
Erstmals abgedruckt
Beeindruckend auch die Schicksale anderer jüdischer Familien, die Hirn akribisch nachverfolgte. Beispielsweise das der Familie Baiersdorfer. Zufall: Susi Rubin-Cohn und Claus Pfeiffer kamen genau in dieser Zeit nach Neumarkt, um selbst über ihre Familiengeschichte zu forschen. Hans Hirn half (wir berichteten).
Hirns Fazit über Neumarkt in der Zeit des Dritten Reiches soll, wie im Buche, auch hier beschließen: Auch in Neumarkt habe es, schreibt er, wie im übrigen Deutschland der Nazi-Zeit, nur wenige gegeben, die den Mut hatten, den Juden trotz aller Verbote zu helfen. Im Gegensatz zu anderen Orten, so Hirn, habe es in Neumarkt immer wieder einzelne gegeben, die es doch gewagt hätten, auch wenn sie sich dadurch selbst in Gefahr brachten. Hirn: „Gerade ihr mutiges Verhalten trägt sicherlich auch dazu bei, den negativen Eindruck von Neumarkt als Dietrich-Eckart-Stadt zu korrigieren, mit dem sie nach 1945 gelegentlich konfrontiert wurde.“ Hans Georg Horn, Jüdisches Leben in Neumarkt und Sulzbürg, Neumarkter Historische Beiträge Band 12656 Seiten, Neumarkt 2011.
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