Flugzeugzulieferer lebt Globalisierung made in Neumarkt
29.4.2013, 12:25 UhrDie Dreichlinger Straße ist lang und man ist schnell vorbeigerauscht am Firmensitz der Industrio GmbH. In dem unscheinbaren Gebäude gegenüber der Pfleiderer-Großbaustelle haben Firmenchef Bill Holler und acht Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz. Die sprichwörtliche Neumarkter Unternehmer-Bescheidenheit folgt der Funktion der Firmenzentrale: Hier fahren keine Kunden vor, die mit repräsentativen Räumen und postmoderner Architektur beeindruckt werden müssen. Die Geschäftspartner von Hollers Industrio sind auf die ganze Welt verteilt: der Nahe und Ferne Osten, Australien, natürlich Europa landauf, landab.
„Wir sind schnell“
An komfortablen Computer-Arbeitsplätzen wickeln die Industrio-Beschäftigten Bestellungen großer Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie ab: Airbus, Eurocopter, EADS und andere. Die bestellen „Verbindungselemente“, spezielle Nieten für den Flugzeugbau, Blechelemente, Plexiglasscheiben für Flugzeug-Cockpits beispielsweise. Lagerräume sucht man hinter den Büros in der Dreichlinger Straße vergebens: Industrio ist ein hochspezialisiertes Vertriebsunternehmen. „Wir sind schnell, das Geschäftsmodell ist erfolgreich“, sagt Firmenchef Bill Holler.
Die Herstellung von Nieten für den Flugzeugbau macht die ganze Tradition des Unternehmens aus: Genau vor 100 Jahren, 1913, hat der Vorläufer von Industrio, die Vereinigten Deutschen Metallwerke in Nürnberg, später Süddeutsche Metallindustrie, damit begonnen, die Teile für die ersten Flieger aus Metall zu produzieren und an das Pionierunternehmen Dornier nach Friedrichshafen zu liefern.
Das Nürnberger Traditionsunternehmen hatte eine bewegte Geschichte: Es wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von Konzernen übernommen, bevor es der damalige Geschäftsführer Bill Holler 1998 per Management-Buy-Out herausgekauft hat. Danach ging die Fortune etwas verloren: Angeblich wegen der „Veruntreuung von Geldern durch einen Mitgesellschafter“ folgte 2000 die Insolvenz, bei der laut Bill Holler die Gläubiger mit der „unglaublichen Quote von 60 Prozent“bedient worden seien. „Wir haben keinen Kunden verloren und keinen Tag die Produktion eingestellt“, erinnert sich der Firmenchef.
Eingestellt wurde die Produktion allerdings in Neumarkt vor drei Jahren. 20 Mitarbeiter fertigten damals noch Bauteile für die Flugzeugherstellung. Und das ist auch ein Lehrstück der Globalisierung. Im Prinzip befindet sich die Produktion von Industrio heute in China, und zwar in der Stadt Jinan in der Provinz Shandong. Doch genau genommen ist dies kein Tochterunternehmen der Neumarkter Firma.
„Ich wollte von Anfang an kein Gesellschafter werden“, sagte Holler im Gespräch mit den Neumarkter Nachrichten. Dafür hat der Luftfahrtexperte aus der Oberpfalz die Planung und den Aufbau der neuen Produktionsanlage geleitet. Die eigentlichen Investoren sind der einheimische Immobilienunternehmer Xu Changshui und der chinesische Flugzeugkonzern AVIC. Rund drei Millionen Euro investierten die Geldgeber in den Maschinenpark. Heute arbeiten dort 50 Menschen. In gut einem Jahr sollen es rund 250 sein.
Formal fungiert Bill Holler nicht als Geschäftsführer der chinesischen Firma, sondern „nur“ als Senior Vice President — um dennoch das chinesische Unternehmen zu leiten, wie er sagt. Viele Wochen pro Jahr kümmert sich der Neumarkter hier um seine Vertriebsfirma und hat trotzdem, über tägliche Videokonferenzen, in Jinan die Fäden in der Hand.
Nicht alles verdient gleich Geld
Bill Holler ist offenbar ein äußerst geschickter Netzwerker, bei dem sich nicht jede Aktivität gleich in Euro, Cent oder Yuan rechnen muss: Seit Jahren ist er ehrenamtlicher Vorsitzender des renommierten DIN-Normenausschusses für Luft- und Raumfahrt. Und gemeinsam mit dem Airbus-Konzern bereitet die kleine Neumarkter Firma jetzt ein Gütesiegel für mehr Effizienz beim „Boarding“, beim Beladen von Flugzeugen, vor. Holler: „Eine Innovation, mit der man erst einmal kein Geld verdient, aber für uns ist das hervorragende Öffentlichkeitsarbeit.“
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