Musical "Hitlerjunge Adolf" beeindruckt
5.4.2013, 13:23 UhrDer Reitstadel scheint schier zu bersten: Die näher kommenden Bombeneinschläge lassen die Wände beben, die Stirnwand inklusive Decke ist zur überdimensionierten Leinwand geworden, über die Bomber und Soldaten huschen, auf der Panzerabwehrkanonen bellen, Luftwaffenmelder über Straßen und Wege laufen, infernalischer Lärm. Neumarkt, Februar 1945.
Das ist die dichteste, schrecklichste und entsetzlichste Szene eines Musicals, das mehr ist, als der Name sagt: „Hitlerjunge Adolf“. In diesen wenigen Sekunden destilliert sich der ganze Wahn einer verlorenen Generation, die glaubte, einem Führer folgen zu müssen, weil es „immer welche gibt, die führen, und welche, die geführt werden müssen, geführt werden wollen“, wie es über 60 Jahre später ein gar nicht so fiktiver Nachwuchs-Nazi, der sich auf dem Sprung in den Land- oder Bundestag wähnt, auf der Bühne gegenüber seiner Freundin formuliert. Er ist populistischer Scharfmacher und intelligentes Hirn einer gröhlenden und saufenden Neo-Nazi-Clique.
Nie wieder – oder wiederholt sich Geschichte doch? Mit dieser Frage spielt Regisseur Franz Xaver Müller meisterhaft, manchmal perfide in „Hitlerjunge Adolf“. Wie in „Der letzte Brief“ verschneidet er Szenen aus der Vergangenheit mit der Gegenwart.
Wie in „Der letzte Brief“ geht es darum, dass sich, was damals war, heute wiederholen kann – und auch wiederholt. Das in „Hitlerjunge Adolf“ um vieles stärker als in „Der letzte Brief“. Es sind beklemmende Szenen entstanden wie die, in der die Neo-Nazis auf der einen und die Hitlerjungen auf der anderen Seite der Bühne Sonnwend feiern, aus der Zeit gefallen und doch in einem Paralleluniversum vereint und mit viel hohlem Pathos. Das geht unter die Haut. Um ein Beispiel zu nennen. Bei dieser Leistung in eine Einzelkritik einzusteigen, verbietet sich. Das Stück als Ganzes überzeugt.
Die Handlung: Sie ist kurz und schnell erzählt. Basti gerät an die falschen Freunde. Neo-Nazis schnappen sich den 17-Jährigen und wollen ihn für ihre Band und ihre Ideen keilen. Eine Nazi-Braut macht ihm schöne Augen, mit viel Tamtam, Gerede von Kameradschaft, gleichen Ideen und großer Freiheit ziehen die Rattenfänger den Jungen heran. Der interessiert sich plötzlich auffällig für Opa Adolfs Jugend und Erzählungen darüber – vor denen er vorher geflüchtet war. Höhepunkt: Er will seinen Opa in den Nazi-Treff „Café Alf“ schleppen. Der kommt mit – doch die Sache endet anders, als gedacht. Man muss es gesehen haben.
Das Stück: Perfekt, wie die rund 70-köpfige Truppe die Bühne im Reitstadel zu einer Bühne macht. Minimalistisch, mit weißen Drehwänden, die ständig gedreht werden, variiert der Bühnenraum; besonders stark: Als BDM-Mädels und Hitlerjugend indoktriniert werden. Wie durch ein Brennglas fällt der Blick des Zuschauers auf die Szene, hört und weiß er aber um die anderen drum herum. Da baut sich Spannung auf, da wird Geschichte konzentriert.
Es sind viele Feinheiten, die der Handlung Dimension geben: Hier eine Anlehnung an dieses, dort eine Reminiszenz an jenes; hier skurrile Geschichten, die sich tatsächlich abgespielt haben wie das Stille Nacht-Musizieren kurz vor der Zerstörung Neumarkts durch die amerikanische Artillerie, dort drei Takte Lili Marlen, die fast untergehen.
Oder die Ausschnitte aus Zeitzeugen-Interviews, die während der Bombardierung Neumarkts eingeschnitten werden und dem abstraktem Bildgeschehen eine eindringliche Verortung geben.
Über drei Stunden entwickelt sich die Handlung dem Höhepunkt zu; es sind viele Geschichten, die parallel erzählt werden, um sich später kurz zu kreuzen, einen wieder einholen. Da werden Augenzeugen-Berichte anschaulich eingebaut, Fiktion wird weiter gesponnen und alles miteinander verwoben, manchmal wird es fast zu viel.
21 Lieder stecken den weiten Rahmen ab, in dem sich die Handlung bewegt. Eine Botschaft: Die Helden spielen auch nach Kriegsende die Helden, auch wenn sie keine waren. Weil sie meinen, sie müssten es, ohne dass es von ihnen erwartet wird. Eine Generation, ihrer kruden Ideale beraubt, flüchtet in eine Zukunft, beladen mit den ihnen anerzogenen Vorurteilen und Nazi-Werten. Lebensentwürfe, die anders gedacht waren, werden einfach passend gemacht. Und beim Familienfest, da schwelgen die alten Herren in den Erinnerungen von damals – natürlich ohne finaler Konsequenz.
Die zieht am Ende Opa Adolf. Unerbittlich, wenn auch spät. Es ist ein eindringlicher Epilog, den Andreas Flierl vorträgt. Ob er die Hitlerjungen damit erreicht hätte, die 1945 in Neumarkt über die US-Soldaten lamentieren, die Armbanduhren als persönliche Trophäen einsammeln? Man sollte den Blick all jener Lamentierer, es gibt sie heute noch, auf die Schlachtfelder und in die Konzentrationslager lenken. Dort brachen die Nazi-Schergen den ermordeten Juden die Goldzähne heraus, um noch ein letztes Geschäft zu machen.
Doch das wollte nach Kriegsende keiner hören; das klingt auch deutlich im Musical an. Nur Opa Adolf erkennt, wenn auch erst über 60 Jahre später: „...als wir die Frucht des Hasses spürten, der uns, die wir ihn selbst gesät, jetzt mit aller Härte traf...“ Eine Erkenntnis, die noch heute in diesem Lande vielen zu wünschen ist.
Weitere Aufführungen: Premiere ist am Freitag, 5. April, um 19 Uhr im Reitstadel, dann: 6. , 7., 11., 12., 13. und 14. April, Beginn jeweils 19 Uhr, Einlass ab 18.30 Uhr. Die Ausstellung im Foyer ist jeweils ab 17 Uhr geöffnet.
3 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen