19. November 1967: Für die Zukunft gerüstet

NN

19.11.2017, 07:00 Uhr
19. November 1967: Für die Zukunft gerüstet

© Gerardi

Der gebürtige Nürnberger, der an den Universitäten Erlangen, München und Frankfurt/Main Rechts- und Staatswissenschaften sowie Volkswirtschaft studiert und sein Doktorexamen mit einer Arbeit über „Das Baurecht der Stadt Nürnberg“ abgelegt hatte, brachte für sein Wirken ein gerüttelt Maß an Verwaltungserfahrung mit. Er war 1946 zunächst als stellvertretender Leiter des Wiederaufbaureferats in den Dienst seiner Vaterstadt getreten, danach zum Rechts- und Oberrechtsrat aufgestiegen, bis er 1955 vom Gesamtstadtrat zum Referenten für das Wiederaufbau-, Wohnungs- und Grundstückswesen gewählt wurde.

Nach dem plötzlichen Tod von Oberbürgermeister Dr. h. c. Otto Bärnreuther stellte ihn die Sozialdemokratische Partei als Kandidaten für die höchste Position in der Stadtverwaltung auf. Aus der Wahl am 17. November 1957 ging Dr. Urschlechter mit 57 v. H. der gültigen Stimmen als neues Stadtoberhaupt hervor, sechs Jahre später blieb er sogar mit 60,4 v. H. der Stimmen gegen zwei Konkurrenten siegreich.

19. November 1967: Für die Zukunft gerüstet

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Der Oberbürgermeister vertritt Nürnberg auf vielen Plattformen: er ist Mitglied und stellvertretender Präsident des mittelfränkischen Bezirkstages, gehört dem Vorstand des Bayerischen Städteverbandes und dem Präsidium des Deutschen Städtetages an; als Aufsichtsratsvorsitzender wirkt er in vielen Gesellschaften, an denen die Stadt beteiligt ist. Neuerdings strebt Dr. Urschlechter auch noch einen Sitz im Bayerischen Senat an.

Redaktion: Herr Oberbürgermeister, vor welche Aufgaben sahen Sie sich gestellt, als Sie vor einem Jahrzehnt Ihr Amt antraten?

Dr. Urschlechter: Damals stand die Stadt noch ganz im Zeichen des Wiederaufbaus, aber man mußte auch schon daran denken, Nürnberg den Anforderungen im letzten Drittel des 20 Jahrhunderts anzupassen. Die Pläne für die Neugestaltung waren also vor allem auf folgende Gebiete auszurichten: den örtlichen und überörtlichen Verkehr mit Schnellstraßen, Autobahnen und dem Europakanal, den modernen Städtebau, für den sich Langwasser anbot, eine gesicherte Versorgung der Bevölkerung mit elektrischer Energie, Gas und Wasser. Das bedeutete zwangsläufig, daß die Investitionen in geordneten Bahnen wesentlich erhöht werden mußten.

Redaktion: Schon bei Ihrer Antrittsrede am 19. November 1957 haben Sie Vorstellungen über das Bild des Nürnbergs von morgen dargelegt. Was ist davon in konkrete Formen gegossen worden?

Dr. Urschlechter: Im Zusammenwirken mit dem Stadtrat entstand 1958 eine Verkehrskonzeption in der die Ausbauziele auf Jahrzehnte hinaus festgelegt sind; Ohne diesen Plan hätten wir nie einen Pfennig von Bund und Land gesehen (Anmerkung der Redaktion: der Oberbürgermeister meint damit beispielsweise die Zuschüsse für die Schnellstraße). Im Jahre 1960 wurde der Mehrjahresplan geschaffen, in dem die dringendsten Bauprojekte der Zukunft aufgeführt sind. Zu solchen Projekten zählt unter anderem auch das zweite Krankenhaus, im Renommierstapel Süden, für das schon genaue Pläne vorliegen, gegenwärtig aber leider das Geld noch fehlt.

19. November 1967: Für die Zukunft gerüstet

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Redaktion: In den letzten zehn Jahren glich die Stadt an allen Ecken und Enden einer einzigen großen Baustelle. Welche Pläne haben sich denn in Ihrer Aegide in die Tat umsetzen lassen?

Dr. Urschlechter: Als ich mir das vor ein paar Tagen überlegt habe, war ich selber erstaunt und einigermaßen erschlagen. Das erste Stück der Stadtautobahn von Fürth bis zur Jansenbrücke kann befahren werden; mit dem Bau der Untergrundbahn wurde begonnen. Die Stromversorgung ist mit dem Ausbau des Dampfkraftwerks Gebersdorf und dem Neubau von Franken II bei Frauenaurach für die nächsten eineinhalb Jahrzehnte sichergestellt. Ein Zweckverband wird dafür sorgen, daß bis zum Ende der sechziger Jahre Wasser von der Donau nach Franken kommt. Die vormals mittelalterliche Müllabfuhr kann sich sehen lassen, denn sie ist auf Tonnen umgestellt worden; eine Müllverbrennungsanlage geht ihrer Vollendung entgegen.

Redaktion: Das ist eine ganz stattliche Liste, hinter der sich sicher viele, viele Millionen Mark verbergen …

Dr. Urschlechter: … aber längst noch nicht alles. Im Krankenhaus entstanden der Y-Bau mit der Chirurgie, dem Strahleninstitut und der Physikalischen Therapie sowie eine neue Hals-Nasen-Ohrenklinik. Die III. und IV. medizinische Klinik wurden geschaffen, damit den dringenden Wünschen der Bevölkerung entsprochen werden kann. Neben dem Y-Bau wächst gegenwärtig der Bau 14 empor, der auch wieder ein Vermögen kosten wird. Mit dem Alterskrankenhaus beim Sebastianspital verfügen wir über eine ebenso wichtige wie segensreiche Einrichtung.

Redaktion: Kam bei solchen Anstrengungen für das Notwendigste nicht die Kultur ein bißchen zu kurz?

Dr. Urschlechter: Das wird wohl niemand allen Ernstes behaupten wollen. Die Meistersingerhalle ist für diese Behauptung wohl der beste Beweis. Wir dürfen froh sein, diese Stätte der Begegnung zu besitzen, denn heute könnten wir es uns womöglich gar nicht mehr leisten, sie zu errichten. Aber daneben wurde auch auf anderen Gebieten viel getan: 1958 konnte das Altstadtmuseum Fembohaus und ein Jahr später das erweiterte Schauspielhaus eröffnet werden. 1962 schließlich feierten die Kammerspiele Premiere. Die Nürnberger haben darüber hinaus aber noch viele andere Möglichkeiten, ihre Freizeit sinnvoll zu verbringen. Denken Sie nur an die Bezirkssportanlagen, an das Freibad West, an den Volkspark Marienberg und vor allem an das Stadion (65.000 statt früher 40.000 Plätze), für die allesamt in dem letzten Jahrzehnt Beachtliches geleistet worden ist.

Redaktion: Sie sind, wie es scheint, häufig auf Reisen in alle Welt, um – wie Sie sagen – das Image der Stadt zu verbessern. Ist das nötig?

Dr. Urschlechter: Nürnberg hat mehr Grund, etwas für seinen Ruf zu tun, als andere Städte, denn seine Vergangenheit lastet immer noch schwer auf ihm. Ich verstehe mich daher als Botschafter der Stadt, wenn ich nach Helsinki, Kopenhagen, Glasgow, London, Brüssel, Amsterdam, Rotterdam, Nizza, Zürich, Mailand, Bologna, Linz oder Wien fahre, um freundschaftliche Beziehungen anzuknüpfen. Unsere Ausstellungen in Brüssel, Amsterdam, Helsinki und Nizza waren so erfolgreich, daß wir sie im nächsten Jahr auch in Marseille und Glasgow zeigen wollen. Die Halbjahreszeitschrift „Nürnberg heute“ hat ein so erfreuliches Echo gefunden, daß wir sie als Brücke zu unseren Freunden in anderen Ländern betrachten können.

Redaktion: Welche Ziele haben Sie sich, Herr Oberbürgermeister, für die Zukunft gesteckt?

Dr. Urschlechter: Ja mei, die Weichen sind gestellt. Zuerst muß natürlich alles vollendet werden, was schon begonnen worden ist. Damit ist eine halbe Generation gut ausgefüllt. Was wir haben wollen, steht im Mehrjahresplan, für den noch 2,5 der insgesamt 3 Milliarden DM nötig sind. Aber es bleiben darüber hinaus noch Wünsche offen, wobei ich nur an das Stichwort Technische Hochschule zu erinnern brauche.

Redaktion: Haben Sie es jemals bereut, Oberbürgermeister geworden zu sein?

Dr. Urschlechter: Nicht eine Sekunde lang, wenn auch manchmal das Klima im Rathaus durchwachsen war, um einen Begriff aus der Sprache der Wetterfrösche zu nehmen.

Redaktion: Haben Sie in den letzten Jahren mehr Freude oder mehr Ärger gehabt?

Dr. Urschlechter: Ich ärgere mich nie. Denn sonst könnte ich das Amt kaum so durchstehen. Meine Tätigkeit brachte eine bunte Mischung von Freud und Leid. Heute jedoch möchte ich der Bevölkerung, dem Stadtrat und der Stadtverwaltung von Herzen für das Vertrauen, die Zusammenarbeit, die Freundschaft und die Sympathie danken, die sie meiner Arbeit entgegengebracht haben. Gleichzeitig habe ich eine Bitte an alle: Gehen Sie mutig der Zukunft unserer Stadt entgegen, an der wir auch weiterhin vertrauensvoll bauen wollen.

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