19. November 1968: "Meister der Praxis"

A. R.

19.11.2018, 07:40 Uhr
19. November 1968:

© Launer

Nach Begrüßungsworten von Amtsgerichtsdirektor Dr. Paul Beyer verabschiedete der bayerische Justizminister Dr. Held den in den Ruhestand getretenen Amtsgerichtspräsidenten Dr. Leonhard Steigmeier mit herzlichen Dankesworten. Anschließend führte er den neuen Amtsgerichtspräsidenten Dr. Hans Brändlein in sein Amt ein.

In Übereinstimmung mit allen, die Dr. Steigmeier während seiner jahrzehntelangen Arbeit bei den Nürnberger Gerichten erleben konnten, charakterisierte der Minister den scheidenden Amtsgerichtspräsidenten als einen "Meister der Praxis", der durch schnelle und wirklichkeitsnahe Entscheidungen den oftmals recht bürokratischen Justizapparat aufzulockern verstanden hat. Als ein leuchtendes Beispiel, wie erfolgreich sich die Initiative des Amtsgerichtspräsidenten Dr. Steigmeier ausgewirkt hat, erwähnte Dr. Held die Tatsache, daß beim Amtsgericht Nürnberg im zweiten Vierteljahr 1968 bereits 71,1 v. H. der Zivilsachen in weniger als drei Monaten erledigt wurden und nur 4,2 v. H. länger als ein Jahr anhängig waren.

Amtsgerichtspräsident Dr. Steigmeier dankte in seinen Abschiedsworten seinerseits dem Justizministerium für die Unterstützung bei seinen Bemühungen, innerhalb der bestehenden Gesetze eine Vereinfachung der Gerichtsverfahren zu praktizieren. Mit Genugtuung stellte er fest, daß ihm auch die Rechtsanwaltschaft, voran der Präsident der Rechtsanwaltskammer, Rechtsanwalt Dr. Schmitz dabei geholfen habe, die Wege zu ebnen, auf denen rascher gearbeitet werden konnte.

Im Blick auf die Klagen in der Öffentlichkeit, daß die Prozesse zu lange dauern, sagte Dr. Steigmeier aufgrund seiner reichen Erfahrung: "Das Übel ist, daß viel zu viel geschrieben wird!". Ein klärendes Wort zur rechten Zeit, so versicherte er, sei besser als noch so viel Geschriebenes.

Der neue Amtsgerichtspräsident, Dr. Brändlein, ebenfalls ein Praktiker von der Pike auf, versicherte, daß er im Geiste seines Vorgängers weiterarbeiten werde. Als Losung für das Nürnberger Amtsgericht unter seiner Leitung gab er die Worte aus: "Sauber und sicher, aber schnell entscheiden!"

Justizminister Dr. Held benützte die Gelegenheit, auch auf aktuelle Fragen der Gerichtsbarkeit einzugehen. So erklärte er zur Unabhängigkeit der Richter, daß sie heute nicht durch die Justizverwaltung bedroht werde, sondern durch den Terror der Straße. Er erinnerte dabei an die Krawalle vor und in den Justizgebäuden. "Unser Bestreben" so erklärte er, "muß es deshalb sein, die Gerichte nicht dem Druck und dem Terror der Straße auszusetzen. Denn wenn die Unabhängigkeit der Gerichte wankt, fällt auch unser Rechtsstaat zusammen."

In der Frage der Titelführung und der Besoldung der Richter versprach er, daß er bestrebt bleiben werde, die Zahl der Beförderungsstellen zu vermehren, um möglichst vielen Richtern die verdiente Beförderung zuteil werden zu lassen. Dagegen sollte man es in erster Linie den Richtern selbst überlassen, welchen Titel sie führen wollen. Denn man dürfe wohl darauf vertrauen, daß sie eine der besonderen Stellung des Richterstandes entsprechende Amtsbezeichnung finden werden.

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