22. Dezember 1967: Mediziner und Pilot
22.12.2017, 07:00 UhrObwohl diese Exkursion am Samstagmorgen freiwillig war, fanden sich nahezu alle der inzwischen 64 eingetragenen Kommilitonen auf der Landebahn des Aero-Clubs ein, um zu sehen, wie ihr Lehrstoff in der Praxis aussieht. Der Gredinger Mediziner Dr. Kurt Grasser, seit 1936 selbst Pilot, baut in der fränkischen Universitätsmetropole ein Lehrfach auf, das Erlangen damit an die Spitze aller deutschen Lehranstalten stellt: nirgendwo sonst können Medizinstudenten in diesem Spezialfach unterrichtet werden.
Als Lehrbeauftragter ist der praktizierende Arzt - "Hiermit verdiene ich meine Brötchen" - auf seine eigenen Erfahrungen in der Aero-Medizin angewiesen - denn Literatur für das Studium gibt es so gut wie nicht. Finden sich beispielsweise zu Raumfahrtproblemen Lehrbücher tonnenweise, steht diese Wissenschaft zumindest diesseits des Ozeans noch weitgehend auf der Warteliste.
Das bringt der erst seit 1. November 1967 in Erlanger Uni-Diensten stehende Arzt seinen Studenten bei: Wie plötzliche Krankheitserscheinungen (auch Frühgeburten) in der Luft, an Bord behandelt werden können, wie sich der menschliche Organismus während des Fluges verhält oder nicht verhält, wie Blutdruck und Herz bei Länder- und Klimawechsel reagieren, wie die Umstellung der inneren Zeituhr funktioniert, was getan werden muß, wenn der Verdauungshaushalt nach einem längeren Flug zusammenbricht.
Der agile Gredinger geht sogar noch weiter: "Die Großraumflugzeuge, die ab 1972 laufend im Einsatz sein werden, sollen Bordärzte bekommen, wie es ja früher auch auf Schiffen eingeführt wurde. Bis zu diesem Jahr will ich rund 100 Luftmediziner fit bekommen, die sich vorher auf großen Linienflügen praktisch erproben können!" Die Luftfahrgesellschaften sind von Dr. Grassers Idee begeistert.
Der praktische Arzt Dr. Grasser fühlt sich mit seinem Lehrauftrag außerordentlich glücklich: "Nicht immer fallen Hobby und Arbeit so günstig zusammen!" Nicht nur inländische Studenten lauschen dem Luftfahrt-Doktor. Zu den eingeschriebenen Hörern gehören Studenten aus Chile, Persien, Indonesien. Der Landesverbandsarzt im Luftsportverband, der auch als Sachverständiger zu Flugunglücken gehört wird, kann stolz auf seine bayerische Bilanz sein: "Seit 1952 war in meinem Untersuchungsgebiet noch kein Absturz auf menschliches Versagen zurückzuführen!"
Die akademischen Gäste gewannen dem informativen Rundgang durch den Flughafen noch eine private Seite ab: Dr. Kurt Grassers Assistent erschien als Weihnachtsmann - stilecht per Privatmaschine vom Himmel - und verloste neben kleinen Geschenken auch einige Freiflüge…
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