23. März 1968: Von der Wohnung zum Glaspalast
23.3.2018, 07:00 UhrDer Weg führte von Häusern mit Hinterhöfen, Gucklöchern und Ofenheizungen zu Bauten im Grünen mit breiten Fensterfronten, kompletten Einbauküchen, gefliesten Bädern und sauberer Fernheizung. Solchen Komfort müssen sich die Mieter aber auch etwas kosten lassen. Zahlten sie früher 70 Pfennig pro Quadratmeter, so sind heute bis zu 3,30 DM fällig.
Bei einer Fahrt kreuz und quer durch die Stadt führte das WBG-Direktorium seinen Gästen vor Augen, welche erstaunlichen Fortschritte der Wohnungsbau in den letzten 50 Jahren gemacht hat. Die Wohnung mit Gitterstäben vor den Gärten ist abgelöst worden vom Glaspalast hinter bepflanzten Lärmschutzwällen. Die WBG hält es sich dabei zugute, von allem Anfang an neue Wege gesucht zu haben und gegangen zu sein.
Hausbewohner halfen mithalten
Diesen Anspruch erhebt sie auch für die Wohnanlage Ostendstraße, die von ihrem Vorgänger – dem Nürnberger Wohnungsbauverein (1918 bis 1922) – nach dem ersten Weltkrieg aus dem Boden gestampft worden ist, wenngleich diese Siedlung heutzutage nicht mehr jedermanns Geschmack sein mag. Sie brachte eine Neuheit für die Mieter: Wohnstube und Küche sind feinsäuberlich getrennt, damit sich Säuglinge und Kinder nicht ständig in ungesunder Luft aufhalten müssen. Der Grundriß mit seinem Gewinkel läßt ebenso zu wünschen übrig wie die reichlich düsteren Räume. Inzwischen haben jedoch Hausherr und Hausbewohner manchen Groschen ausgegeben, damit diese Häuser modern gestaltet werden können.
Mit einem Aufwand von einer halben Million DM ließ die WBG die elektrischen Leitungen verstärken und machte damit einen ersten Schritt zum Einbau von Bädern. Die Mieter haben ihrerseits in die Sparkasse gegriffen, um die Küchen so auszustatten, daß sie der Hausfrau das Leben erleichtern helfen. „6.000 DM hamma neig‘steckt“, sagte Frau H. in der Erhardstraße, die mit Stolz vorzeigen konnte, wie wohnlich das Heim durch diese Ausgabe geworden ist.
Wo immer die WBG Häuser aus der Zeit der zwanziger und dreißiger Jahre besitzt, ob in Johannis oder am Nordostbahnhof, in Schweinau oder am Nordbahnhof, sie ist darauf bedacht, ihn zu pflegen und einigermaßen an den Standard unserer Tage heranzuführen. Mehrfach deutete Direktor Dipl.-Volkswirt Joseph Haas aus dem Bus, um auf typische Beispiele von Wohnungen zu verweisen, die mehr kosten als sie Miete einbringen. Je länger die Fahrt durch Nürnbergs Straßen währte, desto deutlicher war aber auch zu erkennen, wie sich der Wohnungsbau entwickelt hat.
In der Nordostbahnhofsiedlung der ausgehenden zwanziger Jahre, die mit einer amerikanischen Dollar-Anleihe finanziert worden ist und sich mit der Zahl von 1931 Wohnungen mit der Stadt Hersbruck messen kann, gibt es keine Durchgangsstraßen, begleitet Grün den Betrachter auf seinem Weg. In ihrem alten Teil finden sich die Ladengeschäfte und Gasthäuser noch in den Wohngebäuden, in unmittelbarer Nachbarschaft aus der jüngeren Vergangenheit haben sie ihren Platz in eigenen ebenerdigen Bauten.
Es geht weiter. Am Nordring und an der Hufelandstraße zieren Balkons die Fassaden, stehen die Häuser in Zeilen zwischen Wiesen. Schüchtern erhebt sich ein achtstöckiger Bau über seine Nachbarn, denn 1957 war es in Nürnberg durchaus noch nicht üblich, allzu hoch hinauszuwollen. Das Heim für berufstätige Frauen, das da so vorwitzig aus seiner Umgebung ragt, zählte damals beinahe noch zu den Wolkenkratzern in der Stadt.
Viel selbstverständlicher stehen schon die drei Hochhäuser am Rande der Parkwohnanlage West da, in die der WBG-Direktor mit stolzgeschwellter Brust führte. Professor Reichow hat mit dieser lärmgeschützten, autogerechten Siedlung der Gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaft ein Schmuckstück geschenkt. Hier bläst ein Fernheizwerk den Dampf in alle Häuser, hier können sich die Bewohner in einem Einkaufszentrum ergehen, in dem von der Sparkasse über den Supermarkt bis zum Café nichts fehlt. Alle Wohnräume sind der Sonne zugewandt, die Balkone vor des Nachbarn neugierigen Blicken geschützt.
Hochhaus mit 17 Stockwerken
Ihr Meisterstück aber will die Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Nürnberg in Langwasser liefern, auf das sie sich seit Jahren schon mit Vehemenz stürzt. Auf einem Gelände von 600 Hektar hat sie nahezu 6.000 Wohnungen, Läden und Garagen und andere Einrichtungen gebaut.
Langwasser bleibt auch in den nächsten Jahren das Zukunftsland der WBG. Allein heuer sollen dort 500 von 800 geplanten Wohnungen der Gesellschaft entstehen. Und hier wird am ehesten der Unterschied zu den Anfängen an der Ostendstraße deutlich. In der Nachbarschaft H sind die Küchen eingebaut, kommt die Wärme aus einem zentralen Heizwerk und erstrecken sich die Fenster über die volle Breite des Wohnzimmers. Helles Licht in den Räumen, frische Luft vor den Häusern – das sind die Kennzeichen der neuen Stadt, die mit einem Quadratmeterpreis von 3 DM bis 3,50 DM im sozialen Wohnungsbau aufgewogen werden müssen.
Jung und alt soll in diesen Siedlungen friedlich beieinander leben, denn sie bieten von der Einzimmerwohnung bis zur Vierzimmerwohnung, vom Eigenheim bis zum Altenheim die verschiedenartigsten Möglichkeiten. Langwasser schneidet daher in seinem Bevölkerungsquerschnitt recht günstig ab. Nur 5,2 Prozent der Bewohner sind über 65 Jahre alt, während an der Ostendstraße diese Zahl bei 29 Prozent liegt.
Das Geburtstagskind WBG darf sich als größtes Wohnungsbauunternehmen Nordbayerns und zweitgrößte Gesellschaft dieser Art im Lande bezeichnen. Als Besitzer und Verwalter von 13.500 Wohnungen mit 35.500 Menschen, 1.800 Versorgungseinrichtungen, zwei Arbeiter- und zwei Aussiedlerwohnheimen hat es 400 Millionen DM investiert und oftmals gerade jenen Bürgern zu einem Heim verholfen, die sich auf dem freien Markt nicht ohne weiteres eines hätten leisten können.
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