29. Januar 1968: Preissturz lockte in die Stadt
29.1.2018, 07:00 UhrSie fanden sich wieder und zu den beiden prallen Tüten in der Hand des Familienfinanziers kam noch eine dritte hinzu. Denn das Temperament und der untrügliche Sinn für gute Gelegenheiten beflügelten den Käufermut angesichts der Mini-Preise.
Die Unermüdlichen im Wettstreit um die Schlagerangebote standen wie jedes Jahr schon vor acht Uhr an den Glastüren der Kaufhäuser und Spezialgeschäfte. Aber die Reihen hatten sich gelichtet im Vergleich zu anderen Schlußverkaufsmontagen.
Der große "Run" setzte erst nach zehn Uhr ein. Da wurden im allgemeinen Trubel Kunden mit Verkäufern verwechselt und umgekehrt. Da lieferten sich die modebewußte Damenwelt an den Garderobenständern verbissene Gefechte.
Die einen schoben die Bügel nach links, um das schönste Kleid für 9 DM aus „hochwertigen Webstoff“ zu finden, rutsch – war die Aussicht wieder verdeckt. Die anderen drückten den ganzen Schwung nach rechts.
"Jeder Pullover pflegeleicht nur 5 DM" – verhieß ein großes Schild. Doch die Pullover waren nicht zu finden. Sie mußten inmitten einer schubsenden und drängenden Menschentraube versteckt sein.
Qualitätsware zu kleinen Preisen zog die Käufer an wie ein Magnet. Viele gingen nach dem Motto vor, getrennt suchen, vereint bewundern. "Da (an einem Stand für Stoffe ab 2 DM pro Meter) hab ich eine ganze Stunde gestanden, Oma, aber es hat sich gelohnt", verkündete stolz die Enkelin, als sie mit Verspätung am vereinbarten Treffpunkt ankam.
Doch trotz des Ansturms auf die Stände mit Sonderangeboten erwarten die Geschäftsleute den eigentlichen Verkaufserfolg erst für Ende der Woche. Es war noch nicht für alle Zahltag.
Das war aber nicht der einzige Grund für den verhältnismäßig zaghaften Beginn, er deutete nicht überall auf Ruhe vor dem Sturm. Denn die Preise waren in vielen Branchen bereits im Dezember ins Rutschen geraten. Das Gespenst der Mehrwertsteuer jagte ein Sonderangebot nach dem anderen. Ein leeres Lager zum Jahresanfang war der Traum der Geschäftsleute.
Im Januar lockten die von Weihnachten her noch einkaufsmüden Kunden wieder günstige Gelegenheiten an, die vereinzelte Preissteigerungen dank Mehrwertsteuer schmackhafter machten. Schließlich begann der Ausverkauf schon Tage vor dem offiziellen Termin, allerdings ohne die Preisschlager, die gestern die meisten Käufer in die Stadt zogen.
Erschöpft vom lohnenden Einkaufsbummel, der oft an Arbeit grenzte, bepackt mit dicken Tüten und Einkaufstaschen, kehrten sie zurück, ließen aber noch genügend für die übrig, deren Kasse sich erst im Laufe der Woche füllt.
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