3. Januar 1968: Gereizte Atmosphäre

F. H.

3.1.2018, 07:00 Uhr
3. Januar 1968: Gereizte Atmosphäre

© Kammler

Gereizte Atmosphäre im Arbeitsamt an der Karl-Grillenberger-Straße. Die 4000 Männer und Frauen, die gegenwärtig ihren Arbeitsplatz verloren haben und auf finanzielle Hilfe angewiesen sind, reihen sich in die lange Schlange vor dem Auszahlungsschalter ein. Viele von ihnen betrachten sich als Menschen zweiter Klasse – einige fühlen sich sogar ungerecht behandelt. Bis sie den Empfang des Stempelgeldes quittieren, machen zahlreiche Arbeitslose aus ihrem Herzen keine Mördergrube. Wenn alle vierzehn Tage das Geld ausgezahlt wird, warten sie oft ungeduldig darauf, bis sie nach einer oder gar zwei Stunden an die Reihe kommen. Das gibt genügend Gelegenheit, seinem Ärger Luft zu machen oder aber ihn wortlos hinunterzuschlucken.

Wie in anderen Arbeitsämtern, die in den vergangenen Wochen im Mittelpunkt öffentlicher Kritik standen, richten sich in Nürnberg die Beschwerden nicht gegen den Ton, der in den Amtsstuben herrscht. Trotzdem haben einige "Stempler" an ihm etwas auszusetzen. Ein 43jähriger Hilfsarbeiter, der vor sechs Wochen entlassen wurde und seitdem seine Frau und seine zwei Kinder mit 135 Mark in der Woche über Wasser halten muß, formuliert es so: "Man hat mitunter den Eindruck, daß es die persönliche Gnade eines Beamten ist, wenn er dir mir gesetzlich zustehende Unterstützung auszahlt."

Solche Beschwerden sind selten. Der Unmut der Arbeitslosengeldempfänger richtet sich in erster Linie gegen gesetzliche Bestimmungen und gegen die Vorurteile der Bevölkerung. Ein 49jähriger Maurer, Vater von drei Kindern und seit über zwanzig Jahren im Beruf, kann ein Lied davon singen, wie in der Öffentlichkeit die "Stempler" oft beurteilt werden. "Wiederholt ist mir schon offen ins Gesicht gesagt worden“, klagt der Mann, "daß ich mich vor einer Arbeit drücke und mich auf Kosten des Staates auf die faule Haut lege". Tränen stehen ihm in den Augen, als er hinzufügt: "Man muß sich fast schämen, daß ich schon zum alten Eisen gehöre. Denn junge Kollegen brauchen nicht mit einer Entlassung zu rechnen. Mir wird aber immer gesagt: Ja, wenn sie zehn Jahre jünger wären...."

Ein 53jähriger Hilfsarbeiter schlägt in die gleiche Kerbe. "Wenn ich alle zwei Wochen mein Geld abhole, dann wird für mich der Gang zum Arbeitsamt zur Qual. Dabei habe ich doch ein Leben lang in die Versicherung hineinbezahlt. Dann sollten auch alle das Recht anerkennen, daß man einen Betrag zurückerstattet bekommt, wenn man schuldlos seinen Arbeitsplatz verliert. Schließlich kann ich meine Familie doch nicht verhungern lassen."

Direktor Hans Burkard Klamroth, der im Dezember mit seinen Mitarbeitern im Bereich des Arbeitsamtes Nürnberg über 6000 Arbeitslose betreute, über 4000 Leistungsfälle registrierte und 4100 Männer und Frauen neue Stellen vermittelte, kennt solche Probleme. "Leider ist in der Öffentlichkeit viel zu wenig bekannt", so meint er, "daß unsere Versicherung auf einer solidarischen Haftung aufgebaut ist". Beschwerden über das Verhalten seiner Beamten sind ihm bislang noch nicht zu Ohren gekommen. "Briefe von unzufriedenen Arbeitslosen erhalte ich genug", erklärte er, "aber die Kritik richtet sich ausschließlich gegen gesetzliche Vorschriften".

Massive Vorwürfe kommen nach Aussage von Direktor Klammroth meist aus der Gruppe der gutverdienenden Leute. Der Chef des Arbeitsamtes: "Mitunter kommen Stempler mit dem Auto vorgefahren und beschweren sich lautstark, daß es vor unserem Haus nicht genügend Parkplätze gibt."

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