30. Juni 1967: Gast in Dürers Heimat
30.6.2017, 07:00 UhrWenn nach des Tages Last und Müh‘ die andern behäbig vor der Tür des Bauernhauses saßen, schlug der Lamprecht Franzl seine geliebten Bücher auf, stützte den Kopf in die Hände und las mit heißen Backen. "Geschafft hab‘ ich auch, wie ein Großer", erzählt er heute, "ich mußte ja neben der Schule schon Geld verdienen, weil wir neun Geschwister gewesen sind".
Doch der Feierabend des kleinen Knechts sah anders aus als der seiner Landsleute: "Mich haben Bücher interessiert, und als ich mal eins über die altdeutsche Malerei in die Hand bekommen habe, hat‘s mich nicht mehr losgelassen." Ganz unauffällig kündigte sich eine Liebhaberei an, die den erwachsenen Mann auch heute noch beschäftigt: Leben und Werk Albrecht Dürers.
"Mit meiner Vorliebe für ihn steh‘ ich daheim allein da", sagt Lamprecht, Ofenwerker in einem Aluminiumwerk, und seine Frau Elfriede ergänzt: "Mei, wenn ich auch noch für den Dürer Interesse haben tät‘, bekämen wir ja nichts zu essen." Doch als kluge Ehegefährtin respektiert sie das Steckenpferd ihres Mannes, betrachtet voll Stolz die stattlichen Bücherreihen zu Haus, die durch viele Geschenke immer länger werden, fiebert seinen Fernsehauftritten am heimischen Apparat entgegen und ärgert sich nicht, wenn sie am Feierabend auch mal allein sein muß.
Aus der stillen Nebenbeschäftigung mit Lektüre und Bilderbetrachten – ("schließlich war ich so vertieft in die Dürerzeit, daß ich mal einen Rapport im Betrieb mit dem Datum ‚1521‛ versehen habe") – wurde bald eine anstrengende Nebentätigkeit, als der Bayerische Rundfunk sich eingeschaltet hatte. Er forderte den gelernten Ofenwerker auf, bei der Fernsehsendereihe "Alles oder Nichts" mitzuwirken. Aus dem heimatlichen Töging bei Altötting zog Franz Lamprecht, begleitet von Tochter Renate, in die Studios. Weder Kameras noch knifflige Fragen brachten ihn aus dem Konzept: mit 8000 Mark ("Alles") zog er wieder heim.
Die Sendung hat ihm noch unvergleichlich mehr eingebracht: Bekanntschaft und Briefwechsel mit anerkannten Fachleuten und interessierten Dürerliebhabern wie er selber einer ist. Sogar Einladungen zu Vorträgen sind im winzigkleinen Töging eingetroffen, man erbittet Lamprechts Rat und Urteil.
Denn zur Freude an der darstellenden Kunst, die den klugen Arbeiter intensiv und ursprünglich ausfüllt, kommt bei ihm ein präzises Wissen, das er sich jahrelang systematisch erarbeitet hat und sorgfältig vervollständigt. So ganz nebenbei bleibt er seinem geliebten Vorbild auch auf der Pinselspur: er kopiert Dürers Handzeichnungen.
Die Dürerstadt Nürnberg kennt den Dürerverehrer bislang nur aus einem vierstündigen Aufenthalt vor einigen Jahren. Heuer darf er mit Frau und Tochter drei Tage lang auf den Spuren des großen Sohnes dieser Stadt wandeln. Zum Geleit gab ihm Oberbürgermeister Dr. Urschlechter ein Buch mit auf den Weg und drückte ihm freudestrahlend die Hand: "Schauen Sie sich gründlich bei uns um, wir sind stolz auf sie!"
Freilich: Dürer-Originale bekommt Franz Lamprecht hier kaum zu sehen – im Germanischen Nationalmuseum hängen nur drei.
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