4. Dezember 1967: 65.000 sahen entfesselten Club

4.12.2017, 07:00 Uhr
4. Dezember 1967: 65.000 sahen entfesselten Club

© Kammler

Aber diesmal war die Kritik sicherlich nicht ganz so ernst wie sonst gemeint. Die Freude über den großen Erfolg (" . . . ein Weihnachtsgeschenk für unser großartiges Nürnberger Publikum . . .“) leuchtete auch aus dem Gesicht des Betreuers, der weiter meinte: „Jetzt wird man wohl einsehen, daß wir wirklich stark sind. Bisher hat man doch wohl gemeint, daß wir immer viel Glück gehabt hatten.“

Er fand auch tröstliche Worte für den geschlagenen Gegner: "Wie man eine Mannschaft halt so erwischt. Die drei hintereinander zu schnell gefallenen Tore in der ersten Halbzeit waren der Genickschlag für die Bayern. Uns wäre es im gleichen Fall wohl kaum anders ergangen." Und er wußte auch eine triftige Erklärung für den schwarzen Tag der Münchner: "Irgendwann einmal mußten sich die Anstrengungen der vielen Spiele bemerkbar machen, zu denen die Münchener in der letzten Zeit gezwungen waren." Und ahnungsvoll: "Vielleicht geht es uns nun eines Tages auch so.“"

Sein Gegenspieler Cajkovski anerkannte neidlos die großartige Leistung der Nürnberger als Mannschaft, ein Lob, dem sich auch Bundestrainer Helmut Schön anschloß (" . . . imponierend die Harmonie in dieser Elf ohne Stars"). Cajkovski führte das Debakel seiner Leute in erster Linie auf die zu rasch eingesteckten beiden ersten Treffer zurück. Er fand noch eine weitere Entschuldigung: "Brenninger, Koulmann, Ohlhauser, Beckenbauer und Roth mußten wegen Schmerzen samt und sonders vor dem Spiel gespritzt werden. Das beeinträchtigte natürlich die Leistung." Aber er gab auch zu:"Wie dieser Club marschiert . . .“"

Tempospiel von Beginn an

Das war es. Wie dieser Club „marschierte“! Er ließ von der ersten Minute an nicht den geringsten Zweifel, daß er klaren Tisch machen wollte. Jeder einzelne Spieler, fit bis unter die Haarwurzeln und frisch wie eine Bachforelle, war seinem Gegenüber, oft in mehreren Belangen, überlegen. So hautnah sich die Münchener Stürmer im allgemeinen auch bewacht sahen, zunächst Leupold, später auch Popp, konnten es nicht unterlassen, sich immer wieder auch in Angriffsaktionen einzuschalten, wobei vor allem die Zusammenarbeit Cebinac-Leupold wieder nahtlos klappte.

Ludwig Müller hatte als Sonderbewacher seinen schußhungrigen Namensvetter so eindrucksvoll im Griff, daß der Münchener Mittelstürmer während des ganzen Spiels Wabra nicht einmal auf die Probe stellen konnte. Selbst sein Treffer zum 6:1 wurde nicht mit dem Fuß, sondern mit dem Kopf erzielt. Koulmann sah sich bei seiner geplanten Aufbauarbeit von der gleichen Nürnberger Nummer 10, Starek, nachhaltig laufend gestört. Auch von ihm konnte kein Glanz ausstrahlen.

Und das schafften auch Ohlhauser und Nafziger nicht. Nur Brenninger vermochte das eine oder andere Mal auszunützen, daß sich Leupold oft im Vorderfeld aufhielt und ihm etwas mehr Luft ließ, als bei einem so gefährlichen Flügelstürmer angebracht war. Aber bedrohlich wurden die Bayern mit Ausnahme der letzten Viertelstunde nie. Unser Notizzettel zählt nur in der 17 und 18. Minute feine Paraden von Wabra auf, die nach Vorstößen von Roth und Ohlhauser entstanden waren.

In der 31. Minute schoß Nafziger in guter Position vorbei und in der 57. Minute scheiterte Müller an dem Nürnberger Hüter. Später mußte Wabra dann allerdings sein Können einige Male öfter beweisen (wobei er sich zuverlässig wie immer in letzter Zeit zeigte), dazwischen aber blieben die Angriffe der Südbayern immer im Vorfeld liegen, wie es einst in den Wehrmachtsberichten so schön hieß.

Denn solange die Clubhintermannschaft konzentriert operierte, vermochten die Münchener Vorderleute nicht, sie in Bedrängnis zu bringen.

Der Clubsturm eine Prachtreihe

Aber die imponierendste Reihe des 1. FCN stand vorne, war der Angriff. Seit ihn Starek verstärkt, ist diese Reihe erst so richtig bissig geworden. Die zähe Arbeit Merkels mit Starek hat sich bezahlt gemacht. Der Wiener gehörte am Samstag mit Cebinac zu den Treibsätzen, den Motoren der Vorderreihe. Dieses Paar jagte der Bayern-Hintermannschaft ganz allein schon einen Schrecken ein, den man förmlich fühlte. Wie dieser Starek seine Alleingänge mit raumgreifenden Schritten startete und dann mit vorbildlicher Übersicht und Uneigennützigkeit mit dem Paß immer den beststehenden Kameraden fand, das riß die Zuschauer von den Sitzen. Und wenn Cebinac, dieser Karajan des Fußballs, seine Kreise zog und die Gegner beinahe nach Belieben narrte, zerknüllten manche Tribünenbesucher vor Begeisterung ihre Hüte. Die „besten Vorlagen, die es je gab“, kamen vom Stiefel Cebinacs, der nur als Torschütze ebenso mit dem Glück auf dem Kriegsfuß stand wie Starek.

Wer will diesen Club abfangen?

Es führt kein Weg an der Feststellung vorbei, daß dieser Club eindeutig die beste Bundesligamannschaft dieser Saison ist.

Wenn die Partie am Schluß 10:0 gestanden hätte, würde sich niemand der Augenzeugen im Rund der 65.000 Zuschauer gewundert haben. Es wäre auch fast selbstverständlich gewesen. Aber es muß den Münchner Bayern gedankt werden, daß sie nie während der 90 Minuten aufgaben und auch keine Minute versuchten, etwa durch massierte Hintermannschaft ein zu hohes Ergebnis gegen diesen diesmal einfach entfesselten 1. FCN zu verhindern. So blieb das Spiel immer fesselnd und interessant.

Daß die Oberbayern immer wieder anstürmten, und dann manchesmal mit sechs und sieben Mann, mag sogar tödlich für sie geworden sein. Denn bis zum 6:0 entsprangen nach dem Überfall in der ersten Halbzeit die sämtlichen Treffer als Früchte eiskalter Konterarbeit, bei der die Hauptarbeit den „giftigen“ Flügelzangen zugewiesen war.

Und zwischen diesen stand mit Brungs und Strehl diesmal auch noch ein Paar, das den Bewachern dauernd entglitt wie ein Stück nasser Seife.

Mochten sich die Deckungsspieler noch so auf die beiden ausrichten – wenn der Paß von hinten oder vom Flügel kam, hatte sich der Bewachte doch längst gelöst und war anspielbar, ehe dem Beschatter die Gefahr zu Bewußtsein gekommen war, Brungs, dem am Samstag alles glückte, rieb dabei zusätzlich die Kräfte seines Schattens Olk durch dauernde Ausbrüche auf die Seiten der Spielfläche auf, und Strehl hatte schließlich selbst den bulligen Sonderbewacher Roth buchstäblich niedergekämpft, dessen Physis gerade noch ausreichte, um den Nürnberger Halbrechten nicht mehr als einen Treffer zu gönnen.

Und sonst: es klingt beinahe paradox, aber während Wenauer als unüberwindlicher Prellbock und letzter Mann beim Club sich oft auszeichnen konnte (und mußte), war von Beckenbauer, in der gleichen Eigenschaft als Ausputzer auf der anderen Seite tätig, weit weniger zu sehen. Es ging bei den Clubvorstößen fast immer so schnell zu, daß der etwas wenig kämpferisch wirkende Nationalspieler sich kaum zur Geltung bringen konnte. Das galt vorne auch für Ohlhauser, an den sich Ferschl mit bewährtem Geschick so nachdrücklich heftete, daß diese Sturmspitze in der Regel entschärft war, ehe sie bedrohlich werden konnte.

Ein unvergeßlicher Tag

Es war eines jener Spiele, die unvergeßlich in der Erinnerung bleiben. Nie hat man in den letzten Jahren im Nürnberger Stadion eine mitreißendere Partie gesehen, und die Kulisse übertraf sogar noch jene des Europacup-Endspieles der Bayern mit Glasgow im Frühjahr. Tausende von Münchener Schlachtenbummlern stellten ein Riesenkontingent zu dem Meer von Fahnen, das über den Rängen wehte, die von der ersten Minute an vom Flutlicht erleuchtet wurden. Noch nie stiegen soviele Raketen wie an diesem Abend in den Nebel um das Nürnberger Stadion und es mag nur für die Münchener Anhänger ärgerlich gewesen sein, daß sie so wenig Grund zum Feiern fanden.

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