Anzeige für 91-Jährige: Kreuzworträtsel-Kunst beschrieben
14.7.2016, 06:00 UhrEine einfache Sache. Das englische Wort für Mauer, Wall, war in dem Kreuzworträtsel des 1977 verstorbenen Fluxus-Künstlers Arthur Köpcke gefragt. Hannelore K., eine pensionierte Zahnärztin, fackelte nicht lange. Von interaktiver Kunst hatte sie natürlich gehört, also griff sie zum Kuli und fügte ein, wie befohlen.
Wenig später führten sie zwei Polizisten vom Mittagessen im Literaturhaus-Café ab zur Vernehmung. Dort hatte sich die Erschöpfte von zwei eindringlichen Gesprächen mit der Museumschefin ein wenig erholen wollen. Die sieben Damen von der "Literaturwerkstatt" eines Seniorenzentrums, die das Drama mit der Delinquentin zusammen durchstanden, waren da längst auf hundertachtzig.
Wie eine Schwerverbrecherin sei Hannelore K. abgeführt worden, empört sich Sonja Aschlener (72), die dabei war. Außerdem habe man die geistig und gesundheitlich beneidenswert fitte 91-Jährige im Museum als dement hingestellt. Sie sei in der Tat "schlimm behandelt" worden, schimpft auch Kursleiterin Gerlinde Knopp. Dass die Betroffene nach der Vernehmung vom Polizeipräsidium im strömenden Regen zurück ins Literaturhaus laufen musste, findet Knopp empörend.
Restauratorin schon am Werk
Niemand habe die Frau despektierlich behandelt, aber jedes Kind wisse, dass man das nicht dürfe. Das erklärt Museumsleiterin Eva Kraus auf Nachfrage. Es sei internationaler Standard, dass Besucher nicht einfach so auf Bildern herumkritzeln oder sie anfassen dürften. Kraus: "Es war sicher keine böse Absicht von der Dame. Aber wir müssen den Schaden melden." Auch wenn es sonst nicht ihre Art sei, gleich die Polizei zu holen.
Wie hoch der Sachschaden ist, weiß noch niemand. Der Versicherungswert des Köpcke-Werkes liegt bei 80.000 Euro; kein Wunder, dass die betagte "Täterin" am Ende des Tages bereits laut über den Verkauf ihrer Eigentumswohnung nachdachte.
So schlimm wird es nicht kommen. Die Restauratorin des Museums versuche bereits, die frischen Kugelschreiber-Buchstaben zu entfernen. Die Aufforderung "Insert your word" sei Bestandteil des Kunstwerks, heißt es im Museum. Wörtlich zu nehmen sei sie nicht. Wenn Besucher Hand anlegen dürfen, stünde das ausdrücklich dabei. Bei Arbeiten von François Morellet oder Gustav Metzger, die zurzeit am Klarissenplatz zu sehen sind, ist das der Fall.
Der Kunst und dem Alltag erfinderisch begegnen, den Betrachter aus der Passivität lösen. Diese Anliegen schreiben Kunsthistoriker dem Kreuzworträtsel-Künstler Arthur Köpcke zu. Vielleicht hätte sich der Maler sogar gefreut über Hannelore K., die so spontan zum Kuli griff. Stattdessen hat die 91-Jährige eine Strafanzeige am Hals.
29 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen