„Auf das Bauchgefühl hören“ Mittwochsinterview

18.1.2017, 08:00 Uhr
„Auf das Bauchgefühl hören“ Mittwochsinterview

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Herr Zinkel, die Auswahl und Konkurrenz der Schulen ist groß in Nürnberg. Ist das gut?

Bernd Zinkel: Für die Vielfalt auf jeden Fall. Jede Schule hat ihr eigenes fachliches Profil und pädagogisches Konzept, jede ein individuelles Schulhaus mit spezieller Raumausstattung. Jetzt informieren die Schulen, was sie zu bieten haben: welche Zweige, welche Aktivitäten, welches Austauschprogramm.

 

„Auf das Bauchgefühl hören“ Mittwochsinterview

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Nach welchen Kriterien sollen Eltern entscheiden?

Zinkel: Ich rate: Entspannen Sie sich, hören Sie auf Ihr Bauchgefühl und das Bauchgefühl Ihres Kindes.

 

Ach, die Kinder kommen mit zum Info-Abend?

Zinkel: Häufig sind sie dabei. Im Hans-Sachs-Gymnasium, wo ich Elternbeiratsvorsitzender bin, teilen wir das auf: Die Eltern bekommen die geballte Information, die Kinder machen eine Schulhaus-Rallye.

 

Die leitet sicher der netteste Lehrer, damit sich möglichst viele anmelden?

Zinkel: Nein! Es geht darum, dass die Kinder schauen: Wie sind die Klassenräume? Wo verbringen sie die Pausen? Was wird in Physik und Chemie geboten? Das interessiert Kinder schon in diesem Alter. Manchmal sind ganz andere Gründe ausschlaggebend. Meine Tochter hat damals gesagt: Das Hans-Sachs ist die Schule, an der ich keine Angst habe, mich zu verlaufen. Das Schulhaus hat einen rechten und einen linken Flügel, Punkt. Andere wollen ins Melanchthon, weil es aussieht wie Hogwarts, das Internat von Harry Potter. Kinder sehen die Schule mit anderen Augen als Eltern, in die Schule gehen aber die Kinder.

 

Wie wichtig ist die Entscheidung für einen bestimmten Zweig?

Zinkel: Beim musischen ist es klar: Da gibt es nur ein Gymnasium in Nürnberg, das Labenwolf. Aber ich rate auch hier zu einer bedachten Entscheidung. Das Kind spielt vielleicht ein Instrument mit Freude, auf dem musischen Gymnasium muss es zwingend ein zweites lernen . . . Auch viele andere Schulen haben tolle Bands und Chöre, in denen es die musische Begabung ausleben kann.

 

Ist die Wahl „sprachlich oder mathematisch-naturwissenschaftlich“ einfacher?

Zinkel: Ideal ist ein Gymnasium, das beides hat und den Kindern noch Zeit lässt. Eine Schule, in der in der 6. Klasse die zweite Fremdsprache dazukommt und erst in der 8. Klasse die Entscheidung für die dritte Fremdsprache oder den mathematischen Zweig fällt. Den Kindern Zeit zu geben, halte ich für ganz wichtig. Wie ist es denn heutzutage? Manche Jugendliche machen schon mit 17 Jahren Abitur, da müssen die Eltern noch mit zur Immatrikulation gehen. Wenn alles glatt läuft, haben sie in drei Jahren den Bachelor und machen zwei Jahre später den Master-Abschluss. Mit 22 oder 23 sind sie fertig und haben nichts anderes gemacht, als zu lernen.

 

Wie wichtig ist die Schullaufbahn fürs Leben?

Zinkel: Eine ganz schwere Frage. Wenn Kinder es irgendwie schaffen, ist das Abitur am Gymnasium sicher der einfachere Weg. Aber auch über den M-Zweig an der Mittelschule kann man’s bis an die Hochschule schaffen. Eltern müssen überlegen, was für ihr Kind machbar ist, und sie sollten ihre Kinder nicht überfordern. Manche Kinder sind in der 4. Klasse noch nicht reif genug, um zu wissen, was auf sie zukommt.

 

In Bayern zählt der Elternwille, die meisten wollen ihre Kinder aufs Gymnasium bringen.

Zinkel: Ja, der trumpft sehr stark. Und alle Eltern neigen nun mal dazu, ihre Kinder toll zu finden, und überschätzen sie vielleicht. Meine Erfahrung ist, dass Eltern zu wenig in Kontakt mit der Lehrkraft gehen, die das Kind jeden Tag sieht und im Vergleich mit anderen einschätzen kann. Manche Kinder brauchen einfach noch Zeit. Die kann man ihnen schenken, indem sie die fünfte Klasse an einer anderen Schule machen und dann ans Gymnasium wechseln. Oder indem sie in der Mittelstufe noch mal ein Jahr zurückgehen, wenn die Pubertät und der komplexe Umbau des Gehirns so fordern, dass die Kinder keinen Kopf für die Schule haben.

 

Sitzenbleiben ist also gar nicht so schlimm?

Zinkel: Wenn wahr würde, was unser Kultusministerium predigt, nämlich die Förderung am einzelnen Kind auszurichten, würde sich das Thema von selbst erledigen. Aber die Schulen haben dafür weder die räumlichen noch personellen Kapazitäten. Wenn all das Geld, das Eltern in Nachhilfe stecken, in die Bildung fließen würde, ließe sich das verwirklichen.

 

Politiker betonen gern und immer wieder, wie flexibel das bayerische Bildungssystem ist.

Zinkel: Wenn man’s weiß, dann ja. Wenn die Eltern an Grundschulen informiert werden, stellen meist Lehrer aus Mittelschule, Realschule und Gymnasium ihre Schulform vor. Aber keiner erklärt, dass viele Wege nach Rom führen und wie man sie beschreiten kann.

 

Stattdessen erleben Viertklässler „Stress pur“. Nun sollen angekündigte Arbeiten, eine feste Zahl von Leistungsnachweisen und prüfungsfreie Lernphasen den Druck mindern. Funktioniert das?

Zinkel: Nur bedingt. Die Kinder schaukeln sich gegenseitig hoch und nicht nur die Eltern, auch die Großeltern sind ambitioniert. Die aktuelle Gliederung – fünf Nachweise in Mathematik, fünf in Heimat- und Sachkunde und zwölf in Deutsch – stellt aus meiner Sicht ein krasses Missverhältnis her. Wenn ein Leistungsnachweis in Mathe in die Hose geht, entsteht Druck, der nicht sein müsste.

 

Und wenn’s das Kind aufs Gymnasium geschafft hat, wird alles gut?

Zinkel: Es gibt Eltern, die haben ihr Kind wieder vom Gymnasium genommen und siehe: Der Druck war weg, das Kind ist aufgeblüht und macht seinen Weg.

 

Zurück zur Qual der Wahl: Spielen Aspekte wie die Nähe zur Schule und der Wunsch von Kindern, mit ihren Freunden zu gehen, auch eine Rolle?

Zinkel: Für viele Eltern spielt die Entfernung zur Schule eine Rolle, sie erspart ja auch das Elterntaxi. Aber die Masse der Gymnasien ist öffentlich angebunden und für Schüler aus allen Stadtteilen gut zu erreichen. Ob Freundschaften wichtig sind, hängt sicher vom Kind ab. Für meine Tochter war es damals wichtig, dass sie aus der reinen Mädchenschule herauskam – obwohl bis auf vier alle anderen Kinder geblieben sind.

 

Wie schaut es mit Schulen aus, die, wie die Rudolf-Steiner- und Montessori-Schule oder das Jenaplan-Gymnasium, andere Lernkonzepte verfolgen?

Zinkel: Man muss sich’s erst mal leisten können.

 

Eltern sagen gern: Für mein Kind nur das Beste!

Zinkel: Aber ist es auch das Beste? Natürlich sind die über das Schulgeld finanzierten Schulen wunderbar ausgestattet, staatlichen Schulen tränen da die Augen. Für die Kinder bieten sich andere Möglichkeiten, die Philosophie ist sehr Kind-orientiert. Aber ich sehe auch Risiken. Stichwort Elitenbildung und Abschottung. Spiegeln diese Schulen das reale Leben? Und was passiert, wenn dieser Weg unterbrochen wird?

 

Wie viele Info-Tage sollen Eltern besuchen?

Zinkel: Wenn das Bauchgefühl sagt, die erste Schule ist es – dann kann man sich alles andere sparen. Unsere Erfahrung am Hans-Sachs-Gymnasium: Findet der Info-Abend früh im Januar statt, sind die Anmeldezahlen hoch. Eltern sollten sich schon im Vorfeld informieren und eine Vorauswahl treffen. Wenn klar ist, das Kind ist entweder neusprachlich oder mathematisch begabt, fällt das eine oder andere ja schon raus. Auch wenn der soziale Zweig gefragt ist, reduziert sich die Auswahl.

 

Sie haben selbst zwei Kinder. Ihre Tochter ist 16, der Sohn 13. Wie schaut’s bei Ihnen aus?

Zinkel: Meine Kinder sind keine Überflieger. Müssen sie auch nicht sein! Ich sehe das so: Mit jedem Schritt geht eine Tür auf. Eine mit dem Übertritt, die nächste mit dem Abitur oder mit einem anderen Schulabschluss, mit Studium und Beruf – aber stehenbleiben kann keiner.

 

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