Critical Mass Nürnberg: Radler werben in eigener Sache

3.6.2014, 06:00 Uhr
Bunt, gut gelaunt und auf dem Weg, ein Zeichen zu setzen: Die Critical Mass ist mittlerweile eine Institution in Nürnberg und eint alle Radler, um sich für Gleichberechtigung im Straßenverkehr einzusetzen.

© Katrin Wiersch Bunt, gut gelaunt und auf dem Weg, ein Zeichen zu setzen: Die Critical Mass ist mittlerweile eine Institution in Nürnberg und eint alle Radler, um sich für Gleichberechtigung im Straßenverkehr einzusetzen.

Die Süddeutsche Zeitung betitelte die Critical Mass kürzlich mit „Protestbewegung“. Doch das Wort „Protest“ wirkt zu martialisch für das, was sich an jedem letzten Freitag in Nürnberg abspielt. Gegen 18 Uhr treffen sich der Rentner Erwin mit seinem Dreirad, Schüler Gregor mit seinem Mountainbike und Vater Jens zusammen mit seinem Sohn am Opernhaus und radeln zusammen mit rund 500 anderen los. Mit dabei ist auch Felix mit seinem Grillrad und die Nürnberger Max und Jan, die in stundenlanger Heimarbeit ein Fahrrad mit imposanter Musikanlage gebastelt haben. Wohin die Tour geht, wird von der „kritischen Masse“ spontan entschieden. Auch einen Organisator des Treffens sucht man vergeblich. Das Ganze wirkt wie ein lustiger Familienausflug — nur viel, viel größer.

Einige Autofahrer finden das hingegen weniger lustig. Denn bis der Tross vorbeigezogen ist, vergehen schon einmal vier grüne Ampelphasen, ohne dass sie einen Meter vorangekommen sind. „Ich habe einmal eine Autofahrerin erlebt, die zuerst einmal getobt hat, als sie nicht weiterkam. Nach einiger Zeit ist sie ganz ruhig geworden und hat sich ihrem Schicksal ergeben. Und am Ende hat sie sogar gelächelt“, sagt Horst Salbert, ein langjähriger Teilnehmer der Critical Mass.

Am vergangenen Freitag gibt es nur wenige Autofahrer, die mit lautem Schimpfen aus dem Seitenfenster oder Hupen ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Einzelne Radfahrer stellen sich vor die Autos, reden mit den erbosten Fahrern und erklären Sinn und Zweck der Critical Mass.

Als die Critical Mass am Ende der zweistündigen Tour eine Ehrenrunde am Plärrer dreht, will sich ein Straßenbahnfahrer lautstark einen Weg durch die Gruppe bahnen. Ein Teilnehmer der Critical Mass stellt sich demonstrativ vor die Straßenbahn und hebt beschwichtigend die Hand. Die Teilnehmer der Critical Mass wollen nicht provozieren. „Wir wollen deutlich machen, dass wir die gleichen Rechte auf der Straße haben wie Autofahrer, Busse und Straßenbahnen“, sagt ein Critical-Mass-Teilnehmer. Die meisten verstehen das. Manche Autofahrer winken den Radfahrern zu oder hupen als Zeichen der Unterstützung.

Für Deeskalation sorgt auch die Polizei, die jedes Mal mit zwei Motorrädern an großen Kreuzungen die Fahrradkolonne absichert. Am Ende des Zuges fährt ein Polizeiwagen mit Blaulicht. „Die Beamten machen wirklich einen tollen Job“, lobt Salbert, der auf der Münchner Straße zu einem der Beamten radelt und ihm auf die Schulter klopft. Dies sei nicht immer so gewesen. Insbesondere am Anfang der Critical-Mass-Bewegung habe die Polizei versucht, die Kolonne schon früh zu stoppen. Am vergangenen Freitag legten die Beamten mehrmals ein gutes Wort für die Radfahrer ein, wenn ein Autofahrer laut wurde.

Rechtlich ist die Critical Mass abgesichert. Denn Paragraf 27 der Straßenverkehrsordnung spricht einem geschlossenen Verband von mindestens 16 Radfahrern dieselben Rechte zu wie jedem anderen Verkehrsteilnehmer. So dürfen die Teilnehmer der Critical Mass nicht nur zu zweit nebeneinander fahren, sondern den anderen auch noch folgen, wenn eine Ampel längst von Grün auf Rot gesprungen ist.

Die Hamburger, die als Vorreiter der Critical Mass in Deutschland gelten, haben einen Kodex für die Teilnehmer erarbeitet, der in allen Städten gleichermaßen gilt. Als Vorfahrer nur bei Grün über die Ampel fahren, keine Lücken aufreißen lassen, immer freundlich gegenüber nervösen Autofahrern bleiben und nicht auf der Gegenfahrbahn fahren.

Jeden letzten Freitag im Monat kommen mehr Radfahrer am Opernhaus zusammen. Alles begann mit 20 Leuten. Über 500 waren vergangenen Freitag dabei.

Wer zur Critical Mass auf dem Laufenden gehalten werden will, kann der Critical Mass-Facebookgruppe beitreten.


 

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