„Das ist kein Preis wie jeder andere“
27.9.2015, 21:14 UhrAls Erstes greift er zum Wasserglas. An der Friedenstafel angekommen, wirkt Amirul Haque Amin, als brauche er die Bierbank auch, um wieder festen Grund zu spüren. Die Eindrücke überwältigen ihn. Er sagt nichts. Als er die Reihen erreichte, klatschten die Leute und fotografierten. Jetzt wollen sie ihm die Hand schütteln, Blumen überreichen, Nussecken bringen. Möchten Sie Huhn oder Rind? Er wählt das Rind.
„Er hat einen so schüchternen Eindruck gemacht“, stellt Rainer Wolf fest. Der Nürnberger zählt zu den 3500 Bürgern, die dem bengalischen Textilgewerkschafter ihre Reverenz erweisen. Bei kühler Herbstsonne und sanften Tönen von Musikgruppen versammeln sie sich mit Freunden, Vereinen, Parteien, Nachbarn, teilen Kuchen, Salate und Kaffeekannen. „Aus Freude, die vielen fremden Leute zu sehen“, sind Rainer Wolf und seine Bekannten da. Ein anderer Gast, Daniel Kennedy-Asante, begeistert sich noch mehr: „Nürnberg sollte aus der Veranstaltung einen festen Friedensfeiertag wie Augsburg machen.“
Feiern mit jungen Flüchtlingen
Gegenüber amüsiert sich eine lange Bank voll Teenie-Jungs. Es sind 26 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus der Clearingstelle Eibach. Ihre Lehrerin organisierte den Ausflug. „Die Vorfreude war riesig“, sagt Leonie Neukamm, eine der Sozialpädagoginnen. Mit erstem Deutsch, Händen und Füßen hat sich die Gruppe die Bedeutung der Straße der Menschenrechte erklärt. Ja, bei der Friedenstafel zeigt sich Nürnberg von seiner empathischen Seite – so, wie das Oberbürgermeister Maly zuvor in seiner Festansprache gefordert hat. Ein paar Mal ziehen die Flüchtlinge aus dem Protestzelt am Hallplatz stumm an der Tafel entlang, um für ihr Bleiberecht zu demonstrieren. Auch sie ernten Applaus.
Die gelöste Stimmung genießen diesmal auch drei der früheren Preisträger. Der älteste, Sergej Kowaljow, hat sich nach dem Festakt erschöpft ins Hotel zurückgezogen. Kasha Jacqueline Nabagesera aus Uganda aber, sie erhielt zuletzt die Ehrung, taucht gut gelaunt in die Menge. „Es ist wunderbar, hier wieder anzuknüpfen.“
Der Tunesier Khémaïs Chammari weiß noch, wie bewegend er seine Auszeichnung 1997 fand. Das anschließende Fest gab es damals nicht, „wir gingen nur drüben beim Museum essen“. Der Nürnberger Menschenrechtspreis sei „kein Preis wie jeder andere“, sagt der mittlerweile 72-jährige Friedensaktivist. Die Kandidatenkür bilde im Lauf der Jahre die ganze Tragweite von Menschenrechten ab. Ihm habe der Preis damals sehr geholfen, sagt Chammari. „Vorher war ich vogelfrei. Danach wurde ich stärker geachtet.“
Gewerkschaften fühlen sich geehrt
Dasselbe berichtet Tamara Chikunova im Rückblick. Die usbekische Kämpferin gegen die Todesstrafe fand sich besser geschützt wieder, unterstützt etwa von der deutschen Botschaft oder Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Ich weiß gar nicht, ob ich ohne den Preis noch leben würde“, sagt sie am Gesprächstisch, an dem gerade Amirul Haque Amin die Fragen einer Schülergruppe des Hans-Sachs-Gymnasiums beantwortet. An die Zeremonie 2005 erinnert sich Chikunova immer noch staunend. „Ich hatte mir das nicht so würdig vorgestellt.“ Über ihr praktisches Problem kann sie heute lachen: Ihre Ausreise war in Taschkent am Flughafen behindert worden, sie kam abgehetzt und ohne Koffer in Nürnberg an. Ihre Garderobe musste sie aus dem Handgepäck und mit schlecht sitzender Hose improvisieren.
Ein besonderer Festtag ist die diesjährige Feier für die Gewerkschaften – sie belegen viermal so viele Tische wie sonst. Die Auszeichnung für einen der ihren habe ihn emotional stark berührt, sagt Stephan Doll, Chef des DGB Mittelfranken. Zumal die Jury damit auf seinen ver.di-Kollegen Johann Rösch einging: Der Textilexperte hatte Amin vorgeschlagen. Die Genossen in Mittelfranken würden sich jetzt überlegen, wie sie Amins Gewerkschaft in Bangladesch künftig konkret unterstützen könnten. Es mache ihn stolz und glücklich, dass die Stadt Nürnberg ein Zeichen für den Wert der Arbeit setze – das gelte es auch auf Arbeitnehmer in Deutschland zu beziehen. „Soziale Menschenrechte kosten Geld, deswegen sind sie so schwierig durchzusetzen.“
Traditionell spielt die Friedenstafel Geld für Projekte im Preisträgerland ein. Mehr als 6000 Euro kamen diesmal durch Tischgebühren, Luftballonverkauf und Spenden zusammen. Einen weiteren Zuschuss bereitet Heidi Drahota vor. Die Textilkünstlerin lässt das Publikum mitgebrachte Stoffreste vernähen. Daraus will sie ein Wandbild mit aufgestickten Friedensbotschaften machen. Durch Verkauf oder Versteigerung soll es Geld für Amirul Haque Amins Arbeitervereinigung einbringen. Das versucht sie, ihm zu erklären, als er an ihrem Tisch Halt macht. Amin unterschreibt in ihrem Gästebuch und schüttelt ihr freundlich die Hand. Da warten noch so viele Hände mehr auf ihn.
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