„Die Wahrheit lieber ertragen“
11.2.2015, 20:55 UhrWenn sich ein Partner in eine dritte Person verliebt hat: Für welche Menschen kommt dann ein polyamores Modell infrage?
Wolfram Dorrmann: Wenn dieses Verliebtsein sich nicht alleine auflöst, kann ein Paar sich überlegen, ob es sich diese Freiheit zugestehen will. Insbesondere wenn ein Paar sich weiterhin emotional verbunden fühlt oder die gemeinsame Entwicklung wertschätzt und nicht abbrechen möchte. Wer sich nur den Kindern zuliebe für dieses Modell entscheidet, hat allerdings nur geringe Chancen, dass es langfristig funktioniert.
Häufig lohnt es sich, nicht sofort aufzugeben, wenn sich einer verliebt. Vor allem, wenn Konflikte, Unzufriedenheit oder Einsamkeit in der Partnerschaft zur Flucht aus der Beziehung geführt haben. Menschen, die sich einsam fühlen, verlieben sich leichter.
Unter welchen Voraussetzungen kann Polyamorie gelingen?
Dorrmann: Ehrlichkeit und die Bereitschaft, lieber die Wahrheit zu ertragen als sich voneinander zu entfremden, sind eine Grundvoraussetzung. Außerdem muss man die Veränderung mehr lieben als die Stabilität. Diese Freiheit geht auf Kosten der sicheren Geborgenheit. Dennoch gibt es in stabilen polyamorösen Beziehungen häufig eine Hauptbeziehung, in der die Partner ihre Hauptverantwortung spüren und regeln. Sie erklären das gemeinsame Schlafzimmer zur Tabu-Zone, verpflichten sich zu Safer Sex oder dazu, manche Sexualpraktiken nur in der Hauptbeziehung zu pflegen. „Gelingen“ heißt hier auch nicht unbedingt, dass dies als lebenslanges Modell stabil bleiben muss. Wie in allen Beziehungsmodellen muss man davon ausgehen, dass sich Zeiten des Gelingens mit Zeiten von Konflikten und Distanz abwechseln.
Sehen Sie Gefahren für die Beteiligten und wenn ja, welche?
Dorrmann: Das Gefühl des Verliebtseins in andere Menschen kann zum Suchtmittel werden. Die Gefahr dabei ist, dass durch die ständige Suche nach diesem Gefühl die Hauptbeziehung vernachlässigt wird. Problematisch ist auch, wenn ein Partner Polyamorie nur toleriert, weil er den anderen nicht verlieren will. Er leidet heimlich und betrügt damit nicht nur sich selbst, sondern auch den Partner: Indem er nämlich vorspielt, anders zu fühlen, als er es in Wirklichkeit tut.
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