Ein kleines Stück Heimat

21.12.2015, 15:37 Uhr
Ein kleines Stück Heimat

© Nadine Hackemer/immowelt.de

Wenn im Nürnberger In-Viertel St. Johannis Wohnungen frei werden, stehen Bewerber meist Schlange. Doch eine 50-jährige Nürnbergerin und ihr Mann schlugen einen anderen Weg ein: Sie hatten über die Immowelt-Initiative „Verändere Deine Stadt“ vom Schicksal eines Teenagers erfahren, der ohne seine Eltern aus Somalia fliehen musste. Das Ehepaar beschloss, Ridwan beim Start in sein neues Leben zu helfen – und machte damit einen jungen Menschen glücklich.

Zuvor hatte der Schüler über Monate immer nur Absagen von Vermietern bekommen. Der Grund: Günstiger Wohnraum ist in Deutschlands Metropolen mittlerweile Mangelware, schon für Menschen mit geringem Budget ist die Suche schwer. Flüchtlinge wie Ridwan, deren Miete vom Amt übernommen wird, haben kaum eine Chance. Deshalb setzte sein Betreuer Stanley Lauer vom Verein für sozialpädagogische Jugendbetreuung e. V. (vsj) alle Hoffnungen auf ein Inserat bei „Verändere Deine Stadt“.

So kam das Schicksal des Teenagers an die Öffentlichkeit, der vor dem Terror der Al-Shabaab-Milizen geflohen war. Die radikalen Kämpfer hatten den damals 16-Jährigen rekrutieren wollen. Doch er wollte nicht töten – und musste seine Heimat verlassen. Ein Jahr dauerte die strapaziöse Odyssee über 10 000 Kilometer, sie endete in Franken. Hier kümmerte sich der vsj um Ridwan, half ihm, Fuß zu fassen. Dann wollte der inzwischen 18-Jährige mit seinem gleichaltrigen Landsmann Ahmed eine Wohngemeinschaft gründen, stieß bei Vermietern aber nur auf Ablehnung.

Eine Wohnungsbesitzerin war von der Geschichte und den Fotos in Mehr Nürnberg so berührt, dass sie sofort mit ihrem Mann sprach. Das Paar besitzt ein Vierfamilienhaus in St. Johannis. Eine Mieterin, eine verwitwete Seniorin, stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Auszug: „Die Geschichte der Jungs ging mir zu Herzen. Sie mussten ihre Familien verlassen und wagen hier einen Neuanfang. Keiner von uns kann sich vorstellen, was sie durchgemacht haben“, schildert die Nürnbergerin ihre Beweggründe, „wir hatten die Möglichkeit, ihnen beim Start zu helfen, und wollten die Gelegenheit nutzen.“

Wenig später war der erste Kontakt hergestellt. Nach dem Auszug der alten Dame renovierte Ridwan mit seinen
Freunden eigenhändig die Dreizimmerwohnung, verlegte Laminat und strich die Wände.  „Er hatte vorher noch nie einen Pinsel in der Hand, umso stolzer ist er auf das Ergebnis“, so die Vermieterin. Inzwischen ist die kleine Zweier-WG in St. Johannis eröffnet. Manches wirkt noch provisorisch, doch ein weiterer Grundstein für einen Neustart ist gelegt.

Ridwan möchte nach der Schule gerne eine Ausbildung im Bereich Logistik machen. Auf seinem Nachttisch steht neben dem Mathebuch das Foto seiner Mutter. Sein größter Wunsch ist es, sie irgendwann wiederzusehen. Ob das jemals möglich sein wird, weiß niemand.  Die Nürnberger Familie möchte zumindest ein bisschen Ersatz sein. Der Sohn teilt mit Ridwan und Ahmed die Leidenschaft für Fußball, beim gemeinsamen Essen lernen sich alle immer besser kennen. Die Nürnbergerin freut sich: „Helfen kann so einfach sein.“

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