„Eine Frau ohne Mann ist dort nichts“
8.1.2016, 20:42 UhrEigentlich hätte Rasijat Majrkaeva den Gesprächstermin am liebsten abgesagt. „Aber ich wollte Ihnen nicht auch noch Stress machen“, sagt sie mit unsicherer Stimme. Die 45-jährige Tschetschenin, die seit vier Jahren in Deutschland lebt, ist verzweifelt: So, wie es derzeit aussieht, muss sie in ihr Heimatland zurück. Die Klage gegen den negativen Asylbescheid hat sie verloren. Die Entscheidung ist noch ganz frisch, Majrkaeva ist mit den Nerven am Ende. Immer wieder laufen Tränen über ihre Wangen, während sie ihre Geschichte erzählt.
Aufgewachsen ist sie in Dagestan, an der Grenze zu Tschetschenien. Schon in der Schule sei sie von Tschetschenen diskriminiert worden, erzählt sie. Die Lehrer hätten ihr trotz ihrer guten Leistungen nur mittelmäßige Noten gegeben. Trotzdem wäre Majrkaeva gern weiter zur Schule gegangen, hätte gern eine Ausbildung gemacht. Ihre Familie ist dagegen: Sie soll Trauben pflücken wie alle anderen Frauen auch.
Majrkaeva heiratet einen Tschetschenen, die Ehe bleibt kinderlos. Erst in zweiter Ehe kommt der heute sieben Jahre alte Ahmed zur Welt. Ein großes Glück, dem im selben Jahr viel Unglück folgt: Das kleine Spirituosengeschäft, mit dem Majrkaeva sich und ihre Familie über Wasser hält und mit dessen Einkünften sie auch die Eltern ihres Mannes unterstützt, wird abgerissen – genau wie alle benachbarten Geschäfte. „Da kam ein Bulldozer, und dann war alles weg“, sagt sie, heute noch fassungslos ob dieser Willkür. Es habe sich um eine staatliche Aktion gehandelt: „Der Präsident wollte dort etwas anderes haben.“
Als man sie um ihre Wohnung betrügt, schickt die Polizei sie weg
Als der kleine Ahmed gerade fünf Monate alt ist, verschwindet sein Vater spurlos. „Manche haben gesagt, er ist tot. Ich wusste es nicht. Er war einfach weg.“ Für Rasijat Majrkaeva ist das der Anfang vom Ende: „In Tschetschenien ist eine Frau ohne Mann nichts. Das ist bei deutschen Frauen ganz anders: Es ist egal, ob sie einen Mann haben oder nicht. Sie können sagen, was sie wollen.“
Tschetschenien ist von zwei Kriegen gezeichnet, die seit Anfang der 1990er Jahre in dem Land wüteten. Viele Häuser stehen leer. Als sie das Angebot bekommt, ihre Wohnung zu verkaufen und für das gleiche Geld eine größere zu erwerben, greift sie zu. Einen Monat später stehen Menschen vor der Tür, die sagen, die Wohnung gehöre ihnen. Der Kaufvertrag ist null und nichtig. „Ich bin zur Polizei gegangen und habe ihnen den Vertrag gezeigt.“ Hilfe bekommt sie jedoch keine, man habe zu viel zu tun, sagen ihr die Beamten. „Die haben mich weggeschickt“, sagt Majrkaeva.
Nun steht die alleinerziehende Mutter ohne Unterkunft da. Sie bittet ihren Bruder um Hilfe. Der hat selbst keine Kinder und bietet an, Ahmed zu sich zu nehmen. „Mir wollte er nicht helfen.“ Aber die Mutter will alles dafür tun, dass ihr lang ersehntes Kind bei ihr aufwachsen kann. Sie schläft abwechselnd bei ihrer verheirateten Schwester und bei ihrer Freundin. „Aber keiner braucht eine geschiedene Frau.“ Schließlich gibt ihr die Freundin den Tipp, mit ihrem Sohn zu fliehen.
Die alleinerziehende Frau nimmt einen Kredit auf und fährt nach Polen. Dort gibt sie Leuten Geld, die sie und Ahmed mit dem Auto mit nach Traiskirchen nehmen. Doch ihr Asylantrag in Österreich wird abgelehnt. Sie flieht weiter nach Deutschland – und hat seither in verschiedenen Asylbewerberheimen in Nürnberg gelebt.
Erst ist sie erleichtert, dass auch viele andere Tschetschenen in den Heimen leben. „Wenn du ganz neu in Deutschland bist, kannst du mit niemandem sprechen. Du bist wie ein Schaf“, erzählt Majrkaeva. Sie wendet sich an eine tschetschenische Großfamilie und bittet um Hilfe beim Übersetzen. Doch ihre Landsleute beschimpfen sie als „Schlampe“ und drehen sich weg. Und die Tschetschenen sind nicht die Einzigen, mit denen sie Probleme hat: „Fast keiner hat Respekt vor mir, weil ich keinen Mann habe.“ Ständig muss sie Kämpfe ausfechten, und das seit vier Jahren. Das hinterlässt Spuren: Rasijat Majrkaeva leidet unter Depressionen.
Dann kommt eine Diagnose, die die 45-Jährige völlig aus der Bahn wirft: Krebs. Ihre Eierstöcke werden entfernt, sie bekommt Chemotherapie und wird in das Asylbewerberheim an der Gerberstraße verlegt. Dort leben schwer kranke Flüchtlinge – sowohl körperlich als auch psychisch erkrankte Menschen. Diese Mischung führt zu Konfrontationen. Auch hier kommt Rasijat Majrkaeva nicht zur Ruhe. Mittlerweile lebt sie an der Pillenreuther Straße. Stress gibt es auch hier. „Heute Morgen war mein Fahrrad weg.“ In der Nacht davor hatte sie sich bei ihren Nachbarn über den Lärm beschwert. Sie fragt sich, ob das Zufall ist. Auch deshalb ist die 45-Jährige froh, dass sie in zwei Heimen putzen kann. „Auch wenn ich nicht viel Geld bekomme: Ich will nicht herumsitzen und krank sein. Ich will mithelfen!“ Sie engagiert sich auch beim Internationalen Frauencafé für andere Flüchtlinge.
Und nun der negative Bescheid vom Gericht. „Ich möchte doch nur ganz normal leben und meinen Sohn aufwachsen sehen.“ Ahmed spricht sehr gut Deutsch und kaum Russisch, Deutschland ist seine Heimat, hier ist er aufgewachsen. Die letzte Hoffnung der beiden ist nun die bayerische Härtefallkommission.
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen