Fassade zu Tode gedämmt
3.5.2012, 07:59 UhrBloß kein Bombast wie zur Hitler-Zeit, nie mehr Dimensionen, die den Menschen klein machen könnten. Daran hielt man sich. Nürnberg hat diese Haltung viele gelungene Bauten beschert, die inzwischen weitgehend unter Denkmalschutz stehen.
Das Rathaus gehört dazu, das Pellerhaus, die Bayerische Staatsbank oder die Kunstakademie. Auch das Neue Gymnasium in der Weddigenstraße ist eines der guten Stücke dieser Epoche. Es entstand Ende der 1950er Jahre nach den Entwürfen von Friedrich Seegy, dem Spross einer alteingesessenen, bis heute aktiven Nürnberger Architektenfamilie.
Leider hat seine schöne Schule ihr Gesicht inzwischen unter einer glatten Attrappe verloren. Über der ursprünglichen Fassade aus lebhaft changierenden, rostroten Klinkersteinen liegt eine viel zu rote, viel zu glatte, viel zu monotone Schicht aus Tonkeramik-Riemchen. Sie ist auf eine dicke Dämmschicht aufgeklebt worden. Weil die so gedämmten Fassaden gleich neben (noch) nicht verhunzten Originalflächen liegen, lässt sich das Ergebnis mit einem Blick gut vergleichen. Als hätte man ein wasserdichtes Make-up mit dem Spatel zentimeterdick auf ein Gesicht aufgetragen, so sieht das aus. Eine Attrappe, die sich sofort verrät.
Jedes Kind kann erkennen, dass etwas nicht stimmt. Was wie Klinker aussehen will, ist keiner. Die Schicht unter dieser wie Plastik wirkenden Hülle dämmt zwar nach neuestem Standard. Dafür muss man jetzt in den Klassenzimmern lüften wie der Teufel. Was für das Neue Gymnasium, das mit seinen Neben- und Pavillonbauten auf einem baumbestandenen und von einem Bächlein durchflossenen Gelände nahe dem Luitpoldhain steht, typisch war, ist nur noch billige Staffage.
Dass die alte Seegy-Fassade dahinter unversehrt blieb, ist ein schwacher Trost. Kaum anzunehmen, dass man sie eines Tages wieder ans Tageslicht holen wird.
Zu verdanken ist das alles einem Experiment, das Stadt und Denkmalschützer ganz bewusst eingegangen sind. Weil es zu teuer war, im Inneren der Schule zu isolieren, wählte man die Außendämmung. In der Hoffnung, das Ergebnis werde dem denkmalgeschützten Urzustand nahekommen. Allen sei klar gewesen, dass dies ein Wagnis sein würde, so heißt es. Noch einmal würde man es nicht eingehen, der Weg sei ein Irrweg. Fazit: Das Experiment ist mit Pauken und Trompeten schiefgegangen.
Zur Vorgeschichte: Der Bund spendierte mit dem Konjunkturpaket II Mittel für die energetische Sanierung von Schulen und die Stadt hob für ihre Schulen den Finger. Denn als Architekt Friedrich Seegy das Südbad, das Sigena-Gymnasium oder das Schauspielhaus baute, war vom Energiesparen noch lange keine Rede.
5,9 Millionen Euro wurden insgesamt an der Weddigenstraße investiert, es wurde isoliert, neue Fenster und Fluchtwege wurden eingebaut und Schadstoffe entsorgt. Das neue Klinker-Make-up schlug mit rund 250000 Euro zu Buche.
Um ein Haar hätte der Bau dadurch seinen Status als Denkmal verloren. Nun sei nur noch der Innenbereich des Hauptkomplexes, dessen Herzstück eine mehrgeschossige, großzügige Aula ist, geschützt, heißt es in der Nürnberger Bauordnungsbehörde.
Ob Klinker, zarte Fassadengraffiti oder charakteristischer Löffelputz, zum Beispiel an Wohnhäusern in der Gartenstadt, der Dämm-Wahn, wie ihn Kritiker längst nennen, hat schon viel Schönes rücksichtslos eingemauert. Und ein Ende ist nicht in Sicht.
Nächste ArchitekTour: eine neue Kindertagesstätte an der Peterskirche.
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