Kein Verständnis für Hysterie
24.3.2015, 20:39 UhrZuletzt hatten Verbände und Unternehmen immer wieder die strikten Aufzeichnungspflichten, die das Gesetz zur Folge hat, beklagt; die CSU will heute im Stadtrat eine an das Bundesarbeitsministerium gerichtete Resolution zur Entbürokratisierung des Mindestlohns durchsetzen.
Wenn die Politik die Erfassungspflicht aufweichte, nähme sie dem Gesetz seine Stoßkraft, befürchtet dagegen Jürgen Markowski. „Ich verstehe nicht, warum das ein Riesenaufwand sein soll. Jeder seriöse Arbeitgeber erfasst ohnehin Beginn und Ende der Arbeitszeit, weil er sie für Lohnabrechnung, Zeitkonten und ähnliches braucht.“ Deswegen befürchtet der für die Kanzlei Manske & Partner tätige Rechtsanwalt, dass die Arbeitgeber über die Aufzeichnungspflichten lediglich „ein Einfallstor“ schaffen wollen, „um die Arbeitszeit so zu manipulieren, dass es am Ende keine 8,50 Euro mehr sind“. Der Jurist nimmt es den klagenden Branchenvertretern nämlich nicht ab, dass wirklich nur die Bürokratie und nicht doch der Stundenlohn von 8,50 Euro das Problem ist.
In der Debatte über das Mindestlohngesetz gerät ein anderes, schon seit 1994 geltendes Gesetz stärker in den Fokus: Arbeitnehmer dürfen am Tag nur zehn Stunden arbeiten. Wenn Arbeitgeber ihre Belegschaften länger in Dienst nehmen, droht ein Ordnungsgeld bis zu 15 000 Euro. Im Zuge der Mindestlohn-Kontrolle könnte jetzt auffallen, wer sich daran hält und wer nicht, was Arbeitgeber etwa aus den Bereichen Landwirtschaft und Gastronomie beunruhigt (die NZ berichtete mehrfach). „Das kann ja wohl nicht sein, dass Arbeitgeber sagen, das Mindestlohngesetz sei deswegen ein Bürokratiemonster, weil dadurch Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz aufgedeckt werden.“ Wenn so ein Verhalten nun auffliege, habe das neue Gesetz seinen Sinn im Gegenteil erst recht erfüllt, findet Markowski.
Das Arbeitszeitgesetz diene zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten, es soll sie vor Überlastung und Burn-out bewahren, sagt der 46-Jährige. Die Kontrolle aber sei mitunter schwierig. „Selbst in der Industrie gibt es regelmäßig Verfahren wegen systematischer Überschreitung der Arbeitszeiten.“ Hinzu komme, dass auch die Arbeitnehmer oft lax mit der Vorschrift umgingen.
Dennoch gelte das Gesetz, auch für die Landwirtschaft, deren Vertreter nun beklagen, dass sich die Natur nicht an die Zehn-Stunden-Regel halte und die Paragrafen zu unflexibel seien. Mit dem Argument, arbeitsrechtliche Bestimmungen seien zu starr, muss sich Markowski oft herumschlagen. „Es heißt häufig, die Wirtschaft sei dynamischer geworden. Ich finde, dem liegt ein Irrglaube zugrunde, nämlich dass sich Gesetzgebung, Staat und Bürger an die Bedürfnisse der Wirtschaft anpassen müssten. Umgekehrt wird ein Schuh draus.“
Auch die Kritik, dass die Dokumentationspflicht selbst für Minijobber und für Familienangehörige gilt, weist Markowski zurück. „Wenn ich mich der Rechtsform des Arbeitsverhältnisses bediene, muss ich mich an die Regeln halten. Warum sollte ein Familienangehöriger schlechter behandelt werden?“ Und gerade im Bereich der Minijobber gebe es „schlimme Auswüchse“: „Ihnen wird erzählt, sie hätten keinen Urlaubsanspruch oder keinen Anspruch auf die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Dabei ist ein Minijob ein Arbeitsverhältnis wie jedes andere auch, also hat man Anspruch auf Urlaub, Lohnfortzahlung und natürlich auch den Mindestlohn.“
Doch obwohl Markowski das Gesetz vor seinen Kritikern in Schutz nimmt – einige Änderungsvorschläge hat auch der Experte parat. „Ich würde die Ausnahmen streichen.“ Für Langzeitarbeitslose, unter 18-Jährige, Erntehelfer oder Zeitungszusteller gibt es (noch) keine gesetzlich garantierten 8,50 Euro, das hält der Jurist für falsch. Zudem würde er die Zollbehörden mit der Kompetenz ausstatten, den Menschen direkt zu ihrem Geld zu verhelfen. Bisher können die Kontrolleure zwar säumige Arbeitgeber mit einem Ordnungsgeld belegen, aber nicht zur Zahlung des Lohns verdonnern. „Und ich hätte gerne ein Verbandsklagerecht für die Gewerkschaften.“ Dann könnten diese stellvertretend für ihre Mitglieder, die sich diesen Weg vielleicht nicht zutrauen, den Mindestlohn einklagen.
Markowski warnt eindringlich vor einer Reduzierung der Dokumentationspflichten im Gesetz, das sonst ein zahnloser Tiger werde. „Es geht um die Schwächsten der Gesellschaft. Ohne die Arbeitszeiterfassung haben sie keine Chance mehr, ihrem Recht zur Geltung zu verhelfen.“
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