Kultregisseur Michael Moore drehte mit Schülern in Nürnberg
11.2.2016, 06:00 UhrEine Woche im April 2015 barg für Johannes Uschalt eine auch im Rückblick ziemlich unglaubliche Überraschung. Er erhielt einen Anruf der Landeszentrale für politische Bildung. Ob er es einrichten könne, in zwei, drei Tagen ein Filmteam zu empfangen? Das wolle sehen, wie Schulen heute das Thema "Holocaust" unterrichten. Uschalt, Geschichtslehrer am Dürer-Gymnasium, fragte den Direktor und stimmte zu. "Ich dachte halt, das wäre irgendein studentisches Projekt." Dann meldete sich das Filmteam. "Da ist mir das Herz kurz in die Hose gerutscht."
Denn die Kameraleute, die tatsächlich kurz darauf in der Gostenhofer Schule erschienen, gehörten zu Michael Moore: dem linken US-Amerikaner, Oscarpreisträger und Enfant terrible des Dokumentarfilms. Mit seinem waffenkritischen Welterfolg "Bowling for Columbine" von 2002 genießt er auch bei Jugendlichen noch Bekanntheit, obwohl es zuletzt still um ihn war.
Als dieser Moore also plötzlich eines Nachmittags in Uschalts Klassenzimmer saß, war das "eine Wahnsinnserfahrung", erinnert sich der Lehrer im Gespräch mit der NZ. Vor laufender Kamera befragte der Regisseur acht angehende Abiturienten zu ihrem Geschichtsbild, die Nazi-Zeit betreffend. Die Schüler mussten auf Englisch parieren, spontan über so schwierige Aspekte wie Verantwortung und Erinnerungskultur reden. Vier der Zwölftklässler hatten in einem Projektseminar Erfahrung gewonnen; sie hatten Holocaust-Überlebende in Israel interviewt.
Wegen dieses preisgekrönten Projekts riet die Landeszentrale dem Filmemacher zum Dürer-Gymnasium. Zu diesem Zeitpunkt war noch unbekannt, wozu Michael Moore auf einer Europareise solche Bilder sammelte. Auch bei der Stiftefirma Faber-Castell in Stein drehte er, machte daraus aber dasselbe Riesengeheimnis. Mittlerweile ist klar: "Where to Invade Next" heißt das Machwerk. Darin listet der streitbare und umstrittene Kultregisseur auf, was die USA von europäischen Ländern lernen können. Elternzeit, gesunde Ernährung, Außenpolitik oder eben Auseinandersetzung mit historischer Schuld. Am 25. Februar kommt der Film in die deutschen Kinos.
Der Berufs-Provokateur nahm sich Zeit, wirkte professionell und ehrlich interessiert, erzählt Uschalt. "Es ging ihm ums Thema, nicht um seine Person." Gerade weil die simulierte Geschichtsstunde völlig ungeprobt ablief, sei die Unterhaltung mit den Schülern sehr authentisch geraten. Noch ein paar Handyfotos zur Erinnerung, und nach zwei Stunden zogen Moore und seine Leute wieder ab. Der Besuch blieb, weil er so kurzfristig kam, in dem fast 1000 Schüler starken Gymnasium fast unbemerkt. Und die Beteiligten mussten seitdem Verschwiegenheit wahren.
Bis heute rätseln sie: Sind wir drin oder rausgeschnitten? Laut Vorab-Kritiken stehen die Zeichen gut, dass ein paar der Dürer-Schüler in der Kinofassung auftauchen. Immerhin sind zwei von ihnen nun zur Europa-Premiere bei der Berlinale eingeladen, dort sehen sie den Film erstmals. Eine Schulvorführung sei aber nicht in Planung, sagt Schulleiter Walter Hauenstein: Dafür reiche die Zeit im Gymnasialbetrieb einfach nicht mehr.
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