Memorium würdigt Anfänge des Simultan-Dolmetschens
4.5.2013, 07:00 UhrEs waren meist blutjunge, von den Alliierten in Europa und den USA rekrutierte Dolmetscher, die sich wenige Monate nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Nürnberg versammelten. Was genau auf sie zukommen sollte, wussten sie nicht, nur dass sie Neuland betreten sollten, war klar. Denn der spätere Weltkonzern IBM hatte kurz zuvor seine „Speach Translator“-Anlage entwickelt — die technische Grundlage für das Simultan-Dolmetschen.
Diese Neuerung „trug zum Gelingen des Nürnberger Prozesses wesentlich bei“, sagte Christian Täubrich, Leiter des Memoriums. Heute sei dies zwar eine Selbstverständlichkeit, ohne Sprachbarrieren miteinander zu konferieren, doch vor 1945 gab es allenfalls erste kleine Ansätze einer so umfassenden Übersetzung.
Neue Technik
Nürnberg darf deshalb als Ort der „Geburtsstunde des Simultan-Dolmetschens“ bezeichnet werden, sagte Kulturreferentin Julia Lehner bei der Vorstellung der Veranstaltungsreihe, die bereits am Sonntag um 18.30Uhr im Schwurgerichtsaal 600 startet. Dann geht es um die Leistung der Pioniere (siehe nebenstehenden Hinweis). Diese rund 120 damals eingesetzten Übersetzer mussten auf die heute obligatorischen Dolmetscherkabinen verzichten: Stattdessen saßen sie in „Aquarien“, wie Projektleitern Elke Limberger-Katsumi vom Verband der Konferenzdolmetscher (AIIC) die Trennscheiben zwischen den Übersetzern bezeichnete.
Geprägt hat die neue Technik den Verlauf der Nürnberger Prozesse auf jeden Fall: „Sehen Sie sich die Fotos von damals an, fast überall sind Kopfhörer zu sehen“, so Limberger-Katsumi. Daran hat sich auch bei heutigen Veranstaltungen nichts geändert — allerdings ist das Dolmetschen fest in weiblicher Hand, während bei den Nürnberger Prozessen auch viele Männer diese Aufgabe übernommen hatten.
Nach der Feuertaufe bei den Nürnberger Prozessen folgte ein Boom der Dolmetschertechnik, in dessen Verlauf 1953 auch der AIIC gegründet wurde. Aus Anlass ihres 60-jährigen Jubiläums kooperiert die Vereinigung mit dem Memorium, um die Entwicklung des Simultan-Dolmetschens aufzuzeigen, die in internationalen Organisationen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet haben, zur selbstverständlichen Begleiterscheinung zählt. Ob Nato, EU oder Vereinte Nationen — übersetzt wird allerorten in diverse Sprachen.
Bei den Nürnberger Prozessen hielt sich die Vielfalt noch in Grenzen: Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch waren damals die vier Sprachen, in die es simultan zu übersetzen galt. Insgesamt, so schätzt Limberger-Katsumi, waren dafür 120 Dolmetscher im Einsatz, von maximal 50 sind heute die Namen bekannt. Pro Prozesstag waren 36 Dolmetscher anwesend. Gleichzeitig saßen immer ein Dutzend Übersetzer im Saal 600, zwölf weitere bereiteten sich auf ihren Einsatz vor und ein weiteres Dutzend hatte Pause.
Alltag vor Gericht
Heute ist der Einsatz von Übersetzern Alltag bei Gericht. Der Vizepräsident des Oberlandesgerichts Nürnberg, Ewald Behrschmidt, betonte, dass „der Saal 600 Geschichte atmet“. Deshalb sei es auch der Justiz ein Anliegen, den Raum für eine dauerhafte museale Nutzung zur Verfügung zu stellen. Dafür muss allerdings erst ein Teil des neuen Justizgebäudes auf dem ehemaligen VAG-Gelände in unmittelbarer Nachbarschaft der Fürther Straße errichtet werden. „Zurzeit läuft der städtebauliche Wettbewerb, heuer kommt es noch zur Prämierung“, so Behrschmidt.
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