Mit einem Hund im Büro geht der Stresspegel runter
22.12.2016, 13:47 UhrJulie bricht spätestens um 6.45 Uhr auf und fährt mit dem Zug zur Arbeit. Dort geht sie erst einmal von Schreibtisch zu Schreibtisch und begrüßt die Mitarbeiter. Sie hofft, dass sie hier das eine oder andere Leckerli abstauben kann. Julie ist nämlich keine normale Angestellte, sie ist Bürohund bei der UDI-Beratungsgesellschaft.
In dem Unternehmen an der Frankenstraße wird die vierbeinige Kollegin, die ihr Frauchen Andrea Burger täglich begleitet, sehr geschätzt. "Sie lockert das ganze Team auf", freut sich die Leiterin der Marketing-Abteilung, Anette Rehm. Deshalb ist die Border-Terrier-Dame auch bei dienstlichen Besprechungen willkommen. Sie liegt dann unter dem Konferenztisch und gibt durch tiefe Seufzer "Impulse": Alle halten kurz inne, lachen — und diskutieren anschließend umso konzentrierter weiter.
Wegen ihrer tierischen Bemühungen um das Betriebsklima ist die Firma beim Verband der Bürohunde registriert. Und der hat eine durchaus ernste Mission: Er setzt sich für mehr Vierbeiner in deutschen Unternehmen ein. Haustiere am Arbeitsplatz sollen die Mitarbeiter nämlich zufriedener machen und helfen, Stress abzubauen. "Wir sind überzeugt, dass man dem Anstieg von psychischen Krankheiten, allen voran dem Burn-out, mit Hunden entgegenwirken kann", sagt der Verbandschef und Hundetrainer Markus Beyer.
Arbeitnehmer stehen immer mehr unter Druck
Er verweist darauf, dass sich die Anzahl der Fehltage im Job wegen psychischer Symptome seit 1997 verdreifacht hat. Gründe dafür sehen Experten in der Digitalisierung der Arbeitswelt, der Doppelbelastung durch Familie und Beruf und dem stetig wachsenden Druck durch Verdichtung und Flexibilisierung in allen Bereichen und Branchen. Es ergeben sich viele Millionen Fehltage im Jahr, die vor allem auf Stress und Überlastung zurückzuführen sind. Dauert eine normale Krankschreibung im Schnitt zwölf Tage, so liegt sie bei psychischen Erkrankungen mit rund 25 Tagen mehr als doppelt so hoch. Dies geht aus einem Report des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen hervor.
Dass ausgerechnet Hunde im Büro helfen sollen, dieses Problem zu mildern, erklärt Beyer so: "Sie wirken sich positiv auf den Menschen aus, bewegen etwas in unserem Innern. Beim Streicheln des Vierbeiners werden das Bindungshormon Oxitocin und das Glückshormon Dopamin ausgeschüttet. Der Level der Stresshormone Insulin und Kortisol sinkt. Die Anspannung lässt nach, der Blutdruck sinkt. Die Menschen werden emphatischer, verstehen ihr Gegenüber besser, sind motivierter und engagierter", sagt Markus Beyer. Das belegt unter anderem eine Studie der Virginia Commonwealth Universität. Wegen der wohltuenden Wirkung, die eine Interaktion zwischen Mensch und Tier hervorruft, gibt es in der Kinderklinik von Barcelona sogar eine Hundestaffel, deren vierbeinige Mitglieder die kleinen Patienten besuchen. "Sie haben dann weniger Angst vor Untersuchungen", so Beyer.
Vierbeiner sorgen für Stimmung und Abwechslung
Dieses Prinzip können sich auch Firmen zunutze machen, wenn die Beschäftigten Hunde mitbringen dürfen. Voraussetzung: Es darf niemand Angst vor den Tieren haben oder eine Allergie. Das Argument von Skeptikern, ein Vierbeiner unterbreche einen doch bloß bei der Arbeit, lässt er nicht gelten. Im Gegenteil: "Genau die kleinen Unterbrechungen sind erwünscht, sie sind es, die für gute Stimmung und Abwechslung sorgen und die Produktivität steigern." Laut Arbeitsmedizinern lässt die Konzentration schon nach 20 Minuten nach. Beyer: "Das Gehirn braucht die Kombination aus Anspannung und Entspannung. Nur wenn sie gegeben ist, kann man kreativ sein." Das kann Anette Rehm bestätigen. "Wenn ich über einem schwierigen Marketing-Text sitze und nicht weiterkomme, gehe ich eine Runde 'Julie streicheln'. Danach habe ich garantiert wieder gute Ideen", erzählt sie. Wenn die Terrierdame einen mit ihren Knopfaugen anschaue, komme man einfach auf andere Gedanken. "Die Mitarbeiter suchen gerade nach anstrengenden Gesprächen Julies Kontakt", hat ihr Frauchen Andrea Burger festgestellt. Die sehr menschenbezogene Julie ist aber auch geradezu prädestiniert als Bürohund. "Ihr Motto ist: Hauptsache, dabei sein", so die Halterin, die in der UDI-Verwaltung arbeitet.
Nicht jeder Hund ist geeignet
"Man kann das nicht mit jedem Tier machen", gibt Marketing-Chefin Rehm zu. Ein Vierbeiner, der den Schreibtisch seines Herrchens als Territorium verteidigt, wäre nicht geeignet. "Wir haben ja auch externe Besucher. Da muss ein Hund schon bestens erzogen sein." Eine gute Sozialisation hält auch Beyer für unverzichtbar, wenn das Tier zum "Kollegen" wird. Das Verhältnis zwischen Hund und Halter sei die Basis dafür. "Vertrauen und Kommunikation müssen stimmen.
Wenn der Vierbeiner seinen Besitzer als kompetent empfindet, kann er sich entspannen und muss nicht selbst den Chef spielen", sagt Beyer, der auch Hundetrainer ist und auf freundschaftliche Signale statt auf harsche Befehle setzt. "Wenn ich mich zum Herrscher über den Hund aufschwinge und Kommandos brülle, werde ich zum Offizier." Dann bleibe auch die erfüllende Beziehung Hund-Mensch, die von kleinen Fingerzeigen und gegenseitigem Verstehen lebt, auf der Strecke. "Das wäre schade. Denn die Evolution hat zu einem im Tierreich einzigartigen Vermögen der Hunde geführt, menschliche Gestik und Mimik zu erfassen, zu deuten und darauf zu reagieren." Und wie steht es um das Wohlbefinden des Vierbeiners, wenn er acht Stunden im Büro ausharren muss? Ist das nicht Tierquälerei? Beyer verneint. Ein Hund verbringe 80 Prozent des Tages mit Dösen und Schlafen. "Die Bürozeit ist dann eben seine Ruhezeit." Mittags muss er — wie zu Hause auch — Gassi gehen und kann sich bewegen. Und abends sei der Halter gefordert, sich mit ihm zu beschäftigen, ihn körperlich und mental auszupowern. Der Hund sei ja auch nicht stundenlang am Schreibtisch festgebunden. "Er sollte sich schon bei seinem Halter Streicheleinheiten abholen oder die anderen Kollegen begrüßen dürfen." Das ist für die Bürohunde des Marktforschungsinstituts con-Sens Forschung und Beratung Gmb H in Röthenbach eine Selbstverständlichkeit. Die französischen Hirtenhunde Sophie und Bilbo sind in der Firma "voll integriert", sagt ihre Besitzerin Kerstin Graße-Vinke von der Geschäftsleitung.
Hunde werden als Seelentröster geschätzt
Mittags liegen die beiden Briards gerne vor der Küche. Nicht nur, weil es dort nach Essen duftet. Sie genießen auch die Gesellschaft der Menschen, die hier in der Pause zusammenfinden. "Und unserer Kommunikation tut die Gesellschaft der Tiere sehr gut", sagt Kerstin Graße-Vinke. Die Gegenwart der Hunde schafft nicht nur eine gewisse Lockerheit, sondern führt auch zu Gesprächen über berufliche Themen hinaus. "Es wäre aber auch ohne die Toleranz der Mitarbeiter nicht möglich, Sophie und Bilbo immer mitzubringen", sagt sie. Hier haben alle die Briards lieb gewonnen. Sophie ist ohnehin ein Naturtalent im Umgang mit Zweibeinern. Sie hat gerade eine Ausbildung zum Therapiehund gemacht. Denn Hunde gelten als erfolgreiche Seelentröster in Seniorenheimen. Die körperliche Nähe des Tieres, das wertfrei Zuneigung verteilt, spendet Trost und Freude.
Der Therapiehunde Franken e.V. bestätigt, was auch der Bürohundeverband vertritt: Die Gegenwart von freundlichen Vierbeinern senkt Blutdruck und Puls. Gesundheit und Wohlbefinden stabilisieren sich. Das weiche Hundefell vermittelt bei Berührung Wärme, Ruhe und Geborgenheit.
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