O’Rourke: „Humorlose Fans sind eine Gefahr für den Fußball“

30.11.2012, 17:21 Uhr
O’Rourke: „Humorlose Fans sind eine Gefahr für den Fußball“

© privat

Mister O’Rourke, Sie waren ein einziges Mal in ihrem Leben im Frankenstadion, um den 1.FCN zu sehen.

© imago

O’Rourke: Das ist richtig.

Können Sie sich an den Gegner erinnern?

O’Rourke: Um ehrlich zu sein, nein.

Es war Rot-Weiß Oberhausen, aber vielleicht ist das nicht so wichtig.

O’Rourke: Es gibt andere Dinge, die mir in Erinnerung geblieben sind: Dass die Club-Fans sehr laut waren, zum Beispiel. Es war eine großartige Atmosphäre. Und (O’Rourke spricht deutsch) an das Sardinellen Wickla kann ich mich natürlich erinnern.

Sie meinen das Sardinen-Weckla.

O’Rourke: Ich wusste, dass ich es falsch sage. Aber: Der Besuch im Frankenstadion war aus anthropologischer und kultureller Sicht für mich sehr beeindruckend.

Vor allem sind Sie dort zum Kenner der Nürnberger Fan-Seele geworden. Ihr Gedicht lässt das erahnen. Wie schafft man das in 90 Minuten?

O’Rourke: Ich hatte gute Begleiter.

Danke. Und darüber hinaus? Immerhin verstehen Sie die Sprache kaum, haben aber doch erkannt, was Nürnbergs Trainer Dieter Hecking den fränkischen Pessimismus nennt: „War alles Dusel, das hält nicht lang.“ Hecking leidet unter dieser Einstellung.

O’Rourke: Die Nürnberger Fans waren zwar sehr laut, ihre Gesänge sehr beeindruckend, und außerdem hatte der Club gerade den Aufstieg geschafft — aber man spürte dennoch die Unsicherheit hinter den Gesängen. Es wirkte, als hätten sie Zweifel, was eine erfolgreiche Zukunft ihres Vereins in der Bundesliga betrifft.

Zweifel begleiten Club-Fans tatsächlich ständig – nicht zu unrecht.

O’Rourke: Sie sollten es mit dem von mir sehr verehrten italienischen Philosophen Antonio Gramsci halten. Den hatten die Faschisten einst ins Gefängnis gesperrt. Er schrieb vom Optimismus des Willens beim gleichzeitigen Pessimismus des Verstandes.

Was genau bedeutet das für Nürnberg und seine Fußball-Fans?

O’Rourke: Dass sie darum wissen, dass ihr Verein vielleicht nicht zu den besten des Landes gehört und das wahrscheinlich auch nie tun wird. Dass sie aber nicht aufhören, daran zu glauben, dass sich das ändern könnte — irgendwann. Ansätze habe ich da bei meinem Besuch 2004 erkannt. Vielleicht sollten sich die Nürnberger uns Schotten zum Vorbild nehmen. Sie kennen die Tartan Army?

Die schottischen Fans, die ihre Nationalmannschaft durch die ganze Welt begleiten? Fröhliche Menschen.

O’Rourke: Und das, obwohl ihre Mannschaft häufiger verliert als gewinnt. Sie mögen wirken wie Verlierer, aber ich glaube, dass die schottischen Fans einfach erwachsen sind.

Erwachsen?

O’Rourke: Ja, Fußball muss erwachsen werden. Erwachsen sein heißt, sich keinen Illusionen mehr hinzugeben, aber auch nicht desillusioniert und zynisch zu sein. Man ist unillusioniert und offen für die Realität und die Wahrheit. Offen für wahre Schönheit und die Lust am Leben. Das ist das Ziel in unserem Leben. Fußballfans können sich ein Vorbild an den Buddhisten nehmen: Leiden, Verlust und Versagen zu akzeptieren.

Warum fällt es vielen Fans so schwer, erwachsen zu werden?

O’Rourke: Vielleicht, weil der moderne Fußball dazu tendiert, Fußball-Fans wie Kinder zu behandeln. Es geht im modernen Fußball vor allem um Geld, erwachsene Männer werden wie kleine Jungs behandelt. Sie sollen Emotionen zeigen wie Kinder, Fan-Artikel haben wollen, Helden huldigen, die das nicht wert sind, Wutanfälle bekommen, sich daneben benehmen. Es wird Zeit, erwachsen zu werden.

So wie die schottischen Fans?

O’Rourke: Ja, die haben nur Illusionen verloren, sind darüber aber keine Verlierer geworden. Und so haben sie den Respekt der Fußball-Welt gewonnen. Trotzdem ist ihnen, ist uns der Fußball alles. Aber es ist nur ein Spiel.

Manch einer sieht das anders.

O’Rourke: So wie Bill Shankly, die Liverpooler Trainer-Legende.

Fußball ist keine Frage von Leben und Tod — es ist viel mehr als das, hat Shankly in etwa gesagt.

O’Rourke: Ich habe das nie so gesehen. Ich liebe Fußball, aber es ist nur ein Spiel. Genauso liebe ich Bücher oder die Oper. Shankly war Schotte. Für uns ist Fußball wirklich wichtig. Aber es ist uns gleichzeitig wichtig, dass man ihn aus der richtigen Perspektive betrachtet. Ein Fußball-Fan, der das vergisst und nicht über einen gewissen Sinn für Humor verfügt, ist eine Gefahr für den Fußball.

Gerade, wenn wie jetzt hier ein Derby ansteht, gewinnt man den Eindruck, dass es viele Menschen gibt, die keinen Spaß verstehen, wenn es um Fußball geht.

O’Rourke: Diejenigen, die das Spiel – das in letzter Zeit so sehr Geschäft geworden ist – wirklich interessiert, sind die, die aus der Arbeiterklasse kommen. Die, die Tag für Tag hart arbeiten und am Wochenende beim Fußball dann mal ein Bier mit Freunden trinken und Emotionen zeigen können. Ich komme aus der Arbeiterklasse, ich kann das verstehen. Der Club hat eine lange Tradition. Nürnberg ist eine Arbeiterstadt. Es muss einen nicht wundern, dass es Emotionen rund um den Verein gibt. Nicht die Emotionen sind das Problem. Schwierig wird es, wenn die Emotionen in eine falsche Richtung geleitet werden. Ich denke, da hat Nürnberg eine unschöne Geschichte mit fehlgeleiteten Emotionen in großen Stadien.

Man wünscht sich immer, dass man das gar nicht mehr betonen muss, dass Hass nicht zum Fußball gehört

O’Rourke: Man kann Armut hassen, Ungerechtigkeiten. Man kann ein Schäufele hassen, dessen Kruste nicht knusprig ist, einen Kloß ohne Brotkrümel-Füllung. Aber man soll nicht einen anderen Fan hassen.

Sie kommen aus der Stadt eines der berühmtesten Fußball-Derbys. Erklären sie uns den Hintergrund der Rivalität zwischen Celtic und Rangers.

O’Rourke: Fußball ist politisch. Die Rangers waren von Beginn an anti-katholisch und anti-irisch. Die Rangers waren das Staatsteam, Vertreter der ökonomischen Macht mit protestantischem Hintergrund. Celtic war der katholische Underdog: David gegen Goliath.

Jetzt ist der Goliath verschwunden, wie lebt es sich ohne die Rangers?

O’Rourke: Zunächst einmal sind die Rangers selbst schuld, dass sie jetzt in der vierten Liga sind: Man hat sich Erfolge gekauft mit Geld, das man nicht hatte, man hat sich geweigert, Steuern zu zahlen. Man hat alle belogen, auch die eigenen Fans. Die finanziellen Probleme der Rangers sind moralische Probleme. Natürlich freuen sich da die Celtic-Fans.

Aber langweilig ist es ohne Rangers.

O’Rourke: Jeder Western braucht seinen Schurken, Gott braucht den Teufel. Aber langweilig war es – was den Fußball betrifft – schon zuvor in diesem lustigen kleinen Land namens Schottland. Es gab ja nur Celtic und die Rangers, die den Titel gewinnen konnten. Jetzt gibt es nur noch Celtic. Aber ich vermisse die Rangers nicht, weil sie so arrogant aufgetreten sind.

Inwiefern?

O’Rourke: Celtic hat immer schon protestantische Spieler verpflichtet. Bei den Rangers hat man bis in weit die 1980er darauf verzichtet. Als man das geändert hat, war das nicht mit der Einsicht verbunden, dass religiöse Festlegung falsch ist. Nein, man hat einfach gemerkt, dass man sonst keinen Erfolg mehr hat. Viele der besten Spieler waren eben Katholiken.

Abgesehen von den speziellen Hintergründen des Old Firm. Warum sind Rivalitäten im Fußball besonders ausgeprägt, wenn es um Derbys geht?

O’Rourke: Wir spüren unsere Herkunft besonders an den Grenzen. Ein Nürnberger fühlt sich dann besonders als Nürnberger, wenn er die rot-schwarze Fahne schwenkt. Einem Fürther geht das umgekehrt genauso. Dazu kommt, dass sich die Fürther ein bisschen als Außenseiter sehen. Als ich in Nürnberg war, war ich natürlich manchmal auch in Fürth. Eine wunderbare Stadt, das wissen auch die Fürther. Dennoch spüren sie, dass sie ein wenig im Schatten leben.

Gänzlich überzeugt von sich sind aber auch die Nürnberger nicht.

O’Rourke: Bei euch ist das wirklich kompliziert mit den Gegensätzen. Der geliebte Außenseiter sind ja meist die Arbeiter-Vereine, aber Nürnberg ist auch ein Arbeiter-Verein.

Und die Verlierer dieses Spiels zweier Außenseiter leiden noch mehr?

O’Rourke: Dazu eine Geschichte: Mein Vater hat mir lange nicht erlaubt, zu Celtic zu gehen. Aber einmal hat er mich mitgenommen. Es war das Weltpokalfinale gegen den Racing Club Buenos Aires. Celtic hatte keine Chance. Um mich herum sah ich gestandene Männer, die das sehr deprimiert hat. Da habe ich mir geschworen, mir nie von einem Fußball-Klub das Herz brechen zu lassen.

Ein wunderbarer Schlusssatz.

O’Rourke: Aber ich will noch etwas sagen: Als ich entdeckt habe, dass Fürth wie Celtic in grün-weißen Trikots spielt und ein Kleeblatt im Wappen hat — ich habe gesagt, dass ich mir mein Herz nicht brechen lasse, das heißt aber nicht, dass ich keines habe.

Ihres schlägt dann heute für Fürth?

O’Rourke: Ja, aber nur aus den genannten, sehr romantischen Gründen.

Und der Club?

O’Rourke: Dieses schöne Spiel braucht schöne Seelen und Momente der Anmut. Könnte ich dem Club drei Wünsche erfüllen, es wären: bessere Lieder, bessere Witze und bessere Spieler. Aber bitte lasst die Sardinen-Weckla einfach so, wie sie sind.



Donny O’Rourke, geboren 1959 in Port Glasgow, Schottland, ist Dichter, Journalist und Hochschullehrer. Vor allem aber ist er Fußball-Experte und Fan von Celtic Glasgow. 2004 wurde O’Rourke mit dem Kesten-Stipendium der Stadt Nürnberg ausgezeichnet. Den Mai 2004 verbrachte O’Rourke in Nürnberg, es war das erste Mal, dass er die Stadt besuchte. Es entstand der – inzwischen leider vergriffene – Gedichtband „Aus dem Wartesaal der Poesie“. Darin schildert O’Rourke unter anderem seine erste Begegnung mit dem 1. FCN. Erst im Dezember will er wieder nach Nürnberg kommen. Das Derby heute im Ronhof verpasst er deshalb leider.
 

1 Kommentar