Plötzlich "Gewalttäter": Club-Fan beschäftigt Landtag in NRW

6.5.2014, 06:00 Uhr
Der Diskussionsbedarf über die Datei "Gewalttäter Sport" ist groß - nicht nur beim Club, sondern auch bei vielen anderen Vereinen in der Bundesliga.

© Zink Der Diskussionsbedarf über die Datei "Gewalttäter Sport" ist groß - nicht nur beim Club, sondern auch bei vielen anderen Vereinen in der Bundesliga.

Jahrelang zog Jahn-Rüdiger Albert mit einem jungen Fan des 1. FC Nürnberg von Gerichtssaal zu Gerichtssaal. Nun wurde der Rechtsanwalt als Sachverständiger in den Landtag von Nordrhein-Westfalen gebeten. Und ein weiterer Termin wird folgen, denn der Diskussionsbedarf zur Datei „Gewalttäter Sport“ ist groß.

Hintergrund ist ein furchtbarer Unfall: Im November 2011 reiste der damals 19-jährige Schwabacher Martin A. (Name geändert) zu einem Auswärtsspiel des Clubs. Im Kölner Hauptbahnhof trafen Anhänger von Mainz 05 und dem Club aufeinander, A. stürzte damals in ein Gleisbett, ausgerechnet als ein Zug einfuhr. Eine Notoperation rettete ihm das Leben, doch er verlor einen Arm.

In der Folge musste A. mit seinem Anwalt um alles streiten: Zehn Monate musste er ohne Armprothese leben, weil das medizinische Hilfsmittel nicht funktionierte. Ihre Pflicht, die Reparaturkosten der Prothese zu tragen, akzeptierte seine Krankenkasse erst vor dem Sozialgericht.

Noch mühsamer gestaltete sich aber der Kampf um seinen Ruf. Denn am Tag nach dem schrecklichen Unfall wurde über die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) via Presseerklärung gemeldet, dass ein Nürnberger Hooligan bei einer Schlägerei einen Arm verlor. Dabei ermittelt die Staatsanwaltschaft bis heute, und es steht nicht einmal fest, ob A. an dem Handgemenge überhaupt beteiligt war oder gestoßen wurde.

Doch die diffamierende Äußerung war im Netz noch über ein Jahr lang nachzulesen. A. wehrte sich zunächst mit einer Zivilklage vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth. Obwohl feststand, dass er keinerlei Vorstrafen auf dem Kerbholz hat und kein Gewalttäter ist, wollte die ZIS die Klage abgewiesen wissen. Die Formulierung „Gewalttäter“ sei eine „freie Meinungsäußerung“. Der damalige Richter am Landgericht Nürnberg-Fürth schüttelte zwar den Kopf, doch es gelang ihm nicht, die Vertreter der Behörde zu überzeugen, den Eintrag freiwillig zu entfernen.

Eintrag sofort löschen

Doch da eine Behörde Antragsgegner war, musste der Fall ohnehin von einem Verwaltungsgericht entschieden werden. Im September 2013 erhielt Martin A. gegen die ZIS vor dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG) recht. Die Behörde musste die Passage gegen A. streichen. Die OVG-Richter waren empört: Hier werde der allgemeine Begriff des Straftäters einfach „umdefiniert“. Der Eintrag A.s stelle eine erhebliche Persönlichkeitsverletzung dar und sei sofort zu löschen. Martin A., so viel wurde offensichtlich, war der Daten-Sammelwut der Behörde zum Opfer gefallen.

So argumentierte auch Rechtsanwalt Albert im Landtag: Statt für Sicherheit sorge die staatliche Behörde eher für Verunsicherung – denn die ZIS definiert selbst, wer ein Gewalttäter ist und wer nicht. „Und die Öffentlichkeit wird mit unreflektierten Zahlen in die Irre geführt.“

Die Folge: Die Presseerklärungen der ZIS landen in den Medien, wie im Fall Martin A., und es entsteht ein unrealistisches Bild der tatsächlichen Gefährdungslage. So beziffere die ZIS unter anderem die Zahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren, nicht aber die Zahl der eingestellten Verfahren, bemängelt Albert: „Insofern sind diese Zahlen nicht aussagekräftig.“ Er verlangt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung.

Diese Einschätzung teilt auch Professor Thomas Feltes, Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Er attestiert den Jahresberichten der ZIS gewaltige Mängel. Die Zahlen ließen keinerlei fundierte Aussagen zu. „Im Gegenteil: Sie stiften Verwirrung und können politisch missbraucht werden.“

Die ZIS bewertet seit 20 Jahren die Sicherheitslage bei Fußballspielen, liefert damit die Grundlage für Polizeieinsätze in den Stadien vor Ort. So soll für mehr Sicherheit bei Sportveranstaltungen gesorgt werden, heißt es auf der Internetseite der ZIS.

Verzerrtes Bild

Doch Feltes sieht haarsträubende Fehler: Polizeieinsätze, die auf falschen Informationen basieren, bergen Gefahren für die eingesetzten Polizeibeamten, aber auch für Dritte – etwa bei Pfefferspray- oder Reizgaseinsätzen. Die mangelnde Kooperationsbereitschaft der ZIS entspreche nicht den gängigen Strategien transparenten polizeilichen Handelns. Unprofessionell ausgewertete Daten und darauf aufbauende Presseverlautbarungen fördern erst die Konfliktbereitschaft der Fans. Und: Steuergelder werden bei unnötig hohem Personaleinsatz bei Fußballspielen, der aufgrund fehlerhafter Analysen erfolgt, verschleudert.

Gunter Pilz vom Institut für Sportwissenschaft an der Universität Hannover weist darauf hin, dass die ZIS-Berichte seit Jahren den Anschein erwecken, dass sich die Lage in den Stadien stetig verschärft. Das Gegenteil sei der Fall: Statistisch gesehen liege die Wahrscheinlichkeit, beim Besuch von Spielen der 1. und 2. Bundesliga Schaden zu nehmen, bei 0,00061 Prozent. Zum Vergleich: Die Verletzungsgefahr für aktive Fußballspieler liegt bei 10,3 Prozent.

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