Radler-Stadt: Was Nürnberg von Holland lernen kann
27.1.2017, 05:35 UhrIn den Niederlanden, betont Gert Wassenaar, werden pro Kopf 30 bis 35 Euro für die Radinfrastruktur im Jahr ausgegeben. "Und das, obwohl die Qualität schon sehr hoch ist", erklärt der gebürtige Niederländer, der seit über 25 Jahren in Nürnberg lebt. Der Nationale Radverkehrsplan für die Bundesrepublik Deutschland empfehle für eine Stadt wie Nürnberg acht bis neun Euro pro Einwohner und Jahr. "Effektiv sind es aber nur zwei Euro, und das bei einem schlechten Zustand der Radinfrastruktur."
Wassenaar, selbst leidenschaftlicher Radler und viele Jahre im ADFC aktiv, ist überzeugt davon: Ein besseres Angebot für Radler im Großraum Nürnberg würde auch mehr Menschen dazu bewegen umzusteigen. Der Niederländer ärgert sich: Alle Politiker seien immer für den Radverkehr. "Wenn es den Autoverkehr tangiert, dann kommt das große Aber", beklagt er. Dann heiße es: "Kein Platz!" In Nürnberg sei das ein Dogma, in seiner Heimat nicht. CSU und SPD seien in Sachen Radverkehr in Nürnberg eher "leidenschaftslos".
Opferzahlen sehr hoch
In den 1970er Jahren habe es in den Niederlanden sehr hohe Opferzahlen im Radverkehr gegeben, erklärt er einen Wendepunkt in der Verkehrspolitik. Zahlreiche Proteste der Bevölkerung hätten etwas bewirkt. Man habe Unfallschwerpunkte analysiert und die "Vision Zero" formuliert. Das Ziel: Keine Unfalltoten mehr im Radverkehr. Davon ist das Land noch etwas entfernt, doch die Zahlen konnten halbiert werden.
Wassenaar verweist auf seinen Landsmann Mark Wagenbuur. Der hat ein bemerkenswertes Video produziert über die Philosophie "Vision Zero". Darin erläutert er die Prinzipien für mehr Sicherheit für Radfahrer. Ganz vorne stehen die Reduzierung der Geschwindigkeit und die Trennung von Rad- und Autoverkehr. Notfalls durch Schikanen wie Bodenwellen werden Autofahrer abgebremst, wenn sie zu einer Kreuzung oder Einmündung kommen. Ein weiteres wichtiges Prinzip, so Gert Wassenaar, ist der rote Radweg. Im ganzen Land sind die Wege so deutlich markiert, nicht nur an einzelnen Stellen wie in Nürnberg oder der Region.
Von der kleinen Straße im Wohnviertel über die Stadtstraße bis zur überregionalen Straße haben alle ihre genauen Gestaltungsvorgaben. Das schafft landesweit Berechenbarkeit. "Und die Trennung von Rad- und Fahrzeugverkehr, aber auch Fußgängern schafft Sicherheit", sagen Wassenaar und Wagenbuur. Damit widersprechen sie der Philosophie, die bei hiesigen Verkehrsplanern herrscht.
Die glauben, mehr Radler auf der Straße bedeute mehr Sicherheit. Wassenaar: "Doch auf die Straße trauen sich nur die wenigsten Radfahrer. Das Ergebnis: Wer unsicher ist, lässt das Rad stehen." Er ist davon überzeugt, dass die Innenstädte nur dann einen anderen Verkehrsmix bekommen, wenn Radler schneller sind als Autofahrer. "Das heißt nicht, dass der Autofahrer total ausgebremst wird." Schwer vorstellbar, dass die Maxime in Nürnberg oder anderen Städten jemals umgesetzt wird. Wassenaar formuliert es noch anders: "Es muss attraktiver sein, mit dem Rad zu fahren, als mit dem Auto."
Attraktiv für Pendler
Für ihn ist übrigens die "Mobilitätsentdeckung der letzten Jahre" das Faltrad. Er pendelt innerhalb Nürnbergs seit vier Jahren damit und kombiniert das zusammenklappbare Rad mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Gerade für Pendler auch in der Region sei das attraktiv. Das kleine Rad kostet auch keine Extra-Fahrkarte und es gibt keine Ausschlusszeiten.
In Deutschland, so seine Beobachtung, sei das Radfahren so verkopft. "In den Niederlanden fahren die Leute einfach und machen sich wenig Gedanken." Wahrscheinlich geht das auch einfach deshalb, weil man sich unterwegs über seine Sicherheit weniger Sorgen machen muss.
Dieser Beitrag erscheint im Rahmen unserer Themenwoche "Die Zukunft der Mobilität". Lesen Sie auch: "Hände weg vom Steuer: Wie sich Autos verändern werden".
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