"Schach ist gar nicht so langweilig"
19.6.2013, 18:11 UhrDer Läufer, natürlich. Fünfzehn, zwanzig Züge hatte er sich versteckt, abseits des Geschehens, außerhalb des Blickfelds, das beim ungeübten Schachspieler eben nur circa fünf mal fünf Felder umfasst. Jetzt kommt er diagonal anmarschiert, unerbittlich, und macht aus einer passablen Ausgangssituation für den Text „Wie ich die Bayerische Jugendmeisterin im Schach besiegte“ eine fürchterliche Ausgangssituation. Zum dritten Mal in dreißig Minuten. Melina grinst und antwortet beiläufig auf die — zum Zwecke der Ablenkung gestellte — Frage, was denn am Schach das Schwierigste sei: „Das Vorausdenken. Und sich immer überlegen: Was will er denn mit dem Zug?“
Melina heißt mit Nachnamen Siegl, ist fünfzehn Jahre alt und spielt fast genauso lange Schach. Das tut sie besser als jede andere Fünfzehnjährige, in Mittelfranken sowieso und seit April auch offiziell in Bayern. Da fand im malerischen Kreuth am Tegernsee die U16-Meisterschaft statt, Melina trat am 1. April als mittelfränkische Meisterin an, gewann sechsmal, spielte einmal Remis und war am 5. April bayerische Meisterin.
In der zweiten Welt
Der Blick auf den Kalender zeigt, dass Schachspieler neben einer guten Portion Grips vor allem eines brauchen: Geduld. Beim klassischen Turnierschach, Melinas bevorzugter Disziplin, hat jeder Spieler zwei Stunden Bedenkzeit für die ersten vierzig Züge, danach wird noch einmal eine halbe Stunde aufgeschlagen. Turniere dauern so leicht mehrere Tage und sind im Bundesland verstreut. „In den letzten Wochen war ich auf vier Turnieren, bis nach Ergolding“, sagt Melina. Viel Zeit für weitere Hobbys bleibt so nicht: „Ich würde total gerne Fußball spielen, aber das klappt nicht. Und Schach finde ich dann schon besser.“
Unter der Woche wird donnerstags im Verein trainiert, montags arbeitet ein Einzeltrainer mit Melina an ihrem Spiel. Regelmäßig lädt der Bayerische Schachverband nach Oberhaching, wo der Landeskader trainiert, mal ein Wochenende, einmal im Jahr für eine ganze Woche. „Da machen wir dann eine Stunde am Tag Ausgleichssport, sonst spielen wir eigentlich die ganze Zeit Schach“, sagt Melina. Spiele gegeneinander, Videoanalysen und Schachrätsel, alles unter Aufsicht erfahrener Trainer.
Bei all der Zeit, die Melina in der, wie sie sagt, „zweiten Welt“ verbringt, achtet sie darauf, dass sie den Kontakt zu Freunden aus der Schule nicht abreißen lässt — freilich nicht immer ein leichtes Unterfangen. Mittlerweile fänden ihre Freundinnen zwar „schon cool“, auf welchem Niveau sie so spielt, aber vor allem anfangs gab es im Freundeskreis doch erhebliche Vorbehalte gegen den Schachsport. „Das ist ja nicht so der normalste Sport, vor allem für Mädchen“, sagt Melina.
Eine Einschätzung, die sich mit den Beobachtungen des Deutschen Schachbundes deckt. „Ich würde sagen, wir haben ungefähr neunzig Prozent aktive Männer, zehn Prozent Frauen“, sagt Wolfgang Fiedler, stellvertretender Vorsitzender der Frauenschach-Kommission im Deutschen Schachbund (DSB). „Und man muss festhalten, dass Frauen qualitativ weit hinter den Männern zurückliegen“. Das lässt sich leicht in Zahlen ausdrücken: In der Top 100 des Deutschen Schachbundes findet sich mit Anna Muzychuk auf Rang 82 die einzige Frau, in der ELO-Rangliste des internationalen Verbandes FIDE ist die Ungarin Judit Polgar (Rang 51) allein unter Männern.
Die Suche nach Ursachen für diese Unterschiede hat schon sehr kluge Menschen zu sehr dummen Äußerungen gebracht. Garri Kasparow, einer der bekanntesten und erfolgreichsten Vertreter des Schachsports im letzten Jahrhundert, fabulierte beispielsweise von der „Unvollkommenheit der weiblichen Psyche“, die dazu führe, dass „keine Frau einen längeren Kampf durchhalten“ kann. Beim Deutschen Schachbund ist man diesbezüglich schon etwas weiter, Präsident Herbert Bastian hat sich die Förderung des Frauenschachs auf die Fahnen geschrieben.
Auftritt auf Südstadtfest
Mit dieser Ausrichtung stößt Bastian aber auch intern auf Widerstände. „Klar versuchen wir, etwas zu bewegen“, sagt DSB-Funktionär Fiedler, „aber wir haben sechzehn Bundesländer mit Landesverbänden. Und fünf davon wollen vom Thema Frauenschach gar nichts wissen.“ Die Widerstände der „Landesfürsten“ machten es schwer, Initiativen zu starten, um auch die Damen an die Schachbretter zu bekommen. Bayern hat da sogar noch eine Vorreiterrolle, immerhin übernimmt hier der Landesverband die Kosten für die Teilnahme der Frauen an den Deutschen Meisterschaften.
Während die Mühlen beim DSB also eher langsam mahlen, hat sich Melinas Schachklub Schwarz-Weiß Nürnberg-Süd eigene Wege überlegt, Frauen für den Schachsport zu begeistern. Beim Südstadtfest und beim Familienfest tritt Melina als Aushängeschild auf, am 11. Juli tritt sie gegen den Bundestagsabgeordneten und passionierten Schachspieler Martin Burkert an. „Das mache ich schon gerne“, meint Melina dazu, schließlich fände auch sie ein paar mehr Mädels im Verein ganz nett. „Vielleicht kann ich denen ja zeigen, dass Schach gar nicht so langweilig ist, wie es sich immer anhört.“
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