"Scheiß-Kriege": Flüchtlinge beziehen Nürnberger Festzelt
1.9.2014, 06:00 UhrDen Betroffenen, die Leid und Strapazen hinter sich haben, bleibt kein Zentimeter Privatsphäre. Es gibt noch zwei weitere Zelte und 20 mobile Toiletten auf dem Gelände. „Man muss den Leuten helfen“, sagt ein Mann, der mit seinem Mops spazieren geht und am Samstagnachmittag an der Deutschherrnwiese vorbeikommt. „Aber ich wohne direkt in der Nachbarschaft. Man hätte die Anwohner schon informieren können.“
In Sachen Information tut sich die für die kleine Zeltstadt zuständige Regierung von Mittelfranken indes merklich schwer. Thomas Vogtherr, bei der Regierung für die Flüchtlingsbetreuung zuständig, sagt ein am Vortag mit der NZ vereinbartes Interview Samstagmittag spontan wieder ab. Er habe Weisung von oben, der Presse keine Auskünfte zu erteilen, Informationen gebe es erst wieder am Montag.
Andere finden dagegen deutliche Worte. Bürgermeister Christian Vogel hält den Umgang des Freistaats mit den Flüchtlingen, gerade auch im Hinblick auf die Zustände in Zirndorf, für „menschenverachtend“. Die Stadt Nürnberg sei für die Erstaufnahme nicht zuständig, sie habe jedoch der Regierung helfen wollen, indem sie den Sportplatz zur Verfügung stellt – aber der Freistaat müsse endlich mehr tun, um die Flüchtlingsproblematik in den Griff zu bekommen.
Als am Samstag die Asylbewerber ankommen, ist auch Gesundheitsamtsleiter Fred-Jürgen Beier mit zwei Ärztinnen aus seiner Behörde vor Ort. Sie sollen in einer ersten groben Sichtung den Gesundheitszustand der Neuankömmlinge überprüfen.
Beier und sein engagiertes Team helfen gerne, doch die kurzfristige Planung der Regierung von Mittelfranken können sie nicht verstehen. Die Amtshilfe sei erst am Tag zuvor angefordert worden, auch die Zahl der Flüchtlinge, die kommen sollen, schwanke ständig, berichtet der Amtschef, der das Krisenmanagement der Regierung für wenig optimal hält. Er kann es angesichts der vielen weltpolitischen Brandherde auch nicht verstehen, warum der Freistaat auf die Flüchtlingsströme nicht besser vorbereitet ist: „Das bayerische Sozialministerium und die Regierung sind anscheinen notorische Tagesschau-Verweigerer“, sagt Beier süffisant.
Beier und seine Mitarbeiterinnen haben sich am Samstag auf 300 Patienten eingestellt, die es mit Unterstützung durch zwei Notärztinnen des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) zu untersuchen gilt. Letztlich sind es nur knapp 100; in zwei großen Reisebussen kommen sie im Lauf des Nachmittags an. Nach den Untersuchungen ist Renate Scheunemann, Ärztin des Gesundheitsamtes, „heilfroh“, dass es relativ glimpflich abging.
Zwei Patienten, einen Erwachsenen und ein Kind, hätten sie in die Klinik einweisen müssen. Allerdings litten die beiden unter Krankheiten, die nichts mit der Zuwanderungsgeschichte der Betroffenen zu tun hätten. Bei zwölf weiteren seien leichtere gesundheitliche Probleme festgestellt worden, sagt Scheunemann. Diese blieben – unter ärztlicher Beobachtung – auf der Deutschherrnwiese. Für den Sonntag waren bis zu 200 weitere Flüchtlinge angekündigt.
Die Verpflegung der Asylbewerber übernimmt das BRK, das sich auch um die Verteilung der Flüchtlinge auf die Zelte kümmert. Wobei das BRK da nur Vorschläge mache, die Entscheidung müsse dann die Regierung treffen, sagt Stefan Knopf, bei der Stadt Nürnberg organisatorischer Leiter für die Hilfsorganisationen.
Wie lange die Flüchtlinge auf der Deutschherrnwiese bleiben, ist noch ungewiss, die Regierung machte, wie erwähnt, keine Angaben. Den Sportbetrieb hat die Stadt nun doch entgegen der ersten Ankündigung eingestellt, weil das Zeltlager größer ausfällt als anfangs gedacht, wie Vogel berichtet. Als ein Passant den Aufbau der Zeltstadt betrachtet, schüttelt er den Kopf: „Diese Scheiß-Kriege“.
12 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen