Warum "der Islam" soviel Feindbilder bedient

30.3.2015, 19:29 Uhr
Warum

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Frau Schiffer, Vorurteile sind ja eher etwas Irrationales. Angesichts von realem Terror, Gewalt und Frauenunterdrückung: Kann man Angst und Ablehnung im Fall des Islam als Vorurteile abtun?

Sabine Schiffer: Muslime sind keine Engel. Es gibt unter ihnen ebenso schlechte Menschen wie auch anderswo. Aber Frauenunterdrückung, Gewalt-Affinität oder Terrorismus sind keine exklusive Domäne der Islamischen Welt. Wenn sie in Europa leben, müssten sie angesichts der Opferzahlen etwa eher Angst vor der Eta haben als vor islamistischem Terror. Was Kriege und Konflikte angeht, die der muslimischen Welt oft angekreidet werden: In Europa oder Amerika stehen keine muslimischen Truppen. Unsere Soldaten stehen in islamischen Ländern. Das darf man nicht vergessen.

Aber die Unterdrückung der Frauen lässt sich ja nicht wegdiskutieren. Das muss man doch kritisieren dürfen?

Schiffer: Das ist für mich ein typischer Entlastungsdiskurs. So als ob es bei uns keine häusliche Gewalt, mangelnde Chancengleichheit oder Lohn-Ungerechtigkeiten gäbe, konzentrieren wir uns auf Muslime nach dem Motto: „Die haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht.“ Die Frau mit Kopftuch ist eine gute Projektionsfläche dafür. Und schon müssen wir uns mit eigenen Defiziten nicht mehr beschäftigen oder etwas dagegen tun. Frauenmorde in Lateinamerika beispielsweise interessieren uns dann weniger. Das Problem wird einer einzelnen Gruppe zugeordnet. So auch beim Thema weibliche Genitalverstümmelung. Eine schreckliche Praxis, die in einigen Regionen Afrikas leider praktiziert wird — und zwar von Animisten und Christen ebenso wie von Muslimen. Trotzdem gilt es weithin als islamisches Problem.

Wir suchen quasi vorsätzlich Gründe, um Muslimen etwas vorzuwerfen? Wieso sollte man das denn tun?

Schiffer: Sogenannte Frames, also Wahrnehmungsschablonen in den Köpfen, sorgen dafür, dass wir nur bestimmte Dinge für wichtig erachten und wahrnehmen. Die Entstehung von Frames hängt in erster Linie mit den Medien zusammen, die ab den Neunziger Jahren, vor allem aber nach dem 11. September vermeintlich Islamisches stark in den Vordergrund gerückt haben. Zudem gibt es eine deutliche Schieflage beim Präsentieren negativer Ereignisse und Fakten...

...wie bitte?

Schiffer: Nach den Anschlägen in Paris gab es zahllose antimuslimische Übergriffe — von Beschimpfungen bis hin zu Brandanschlägen auf Moscheen. In Kaiserslautern wurde eine Frau mit Kopftuch bewusstlos geschlagen und mit Alkohol übergossen. Die mediale Resonanz war aber alles andere als groß.

Schüren die Medien ihrer Meinung nach also bewusst Vorurteile?

Schiffer: Nein, ein Großteil der Frames sind schlicht Fehler, die fortgeschrieben werden. Was macht ein Journalist als Erstes beim Thema Islam? Er sieht im Archiv nach und orientiert sich an dem, was bereits geschrieben wurde. Bewusst geschürt werden Vorurteile aber von einigen Think Tanks und ähnlichen Einrichtungen, die die Medien als Vehikel instrumentalisieren. Da fließen nachweislich viele Millionen Dollar, um die öffentliche Meinung zu Islam und Muslimen negativ zu beeinflussen.

Und der Grund?

Schiffer: Es geht schlicht um geostrategische Interessen in Ländern der sogenannten islamischen Welt.

Auch wenn Stimmungsmache im Spiel ist: Die Muslime selbst tun ja nicht gerade viel, um ihr mieses Image zu verbessern. Etwa indem sie Vorurteile widerlegen oder sich vom Terror distanzieren.

Schiffer: Das tun sie sehr wohl, nur findet es kaum Aufmerksamkeit. Aber das hilft in diesem Zusammenhang ohnehin nicht. Wenn der Beschuldigte schweigt, gilt das als Schuldeingeständnis. Je heftiger er sich gegen Vorwürfe wehrt, umso mehr heißt es: „da muss was dran sein“. Das ist wie beim Hexentest im Mittelalter.

Also kann man gar nichts tun gegen Islamophobie und Stereotype?

Schiffer: Doch. Aber hier gilt: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Wenn wir uns beispielsweise in einigen Jahren über kulturelle Eigenarten von Chinesen echauffieren, die jetzt auch schon alle in China praktiziert werden, dann sollten wir nicht beginnen Sinologie zu studieren, um die Vielfalt der chinesischen Kultur kennenzulernen und gegenzuhalten...

...sondern?

Schiffer: Man sollte sich als Erstes immer fragen, warum diese Gruppe auf einmal besondere Aufmerksamkeit erfährt und über geopolitische Zusammenhänge Bescheid wissen. Am wichtigsten aber ist es zu wissen, wie Medien funktionieren, wie sie unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflussen. Leider leisten ausgerechnet wir als demokratisches, entwickeltes Land uns, die Medienbildung in der Schule zu vernachlässigen.