Widerstand gegen wbg-Abrisspläne wächst
13.8.2014, 08:00 UhrWenn Holger Finster an seinem Fenster steht und den Blick über das grüne Idyll vor ihm schweifen lässt, ist die Welt in Ordnung. Es ist nicht in erster Linie die Ruhe, die die teils verwilderten Gartenparzellen ausstrahlen oder das Vogelgezwitscher, die ihm nach jedem anstrengenden Arbeitstag das Heimkommen versüßen. Finster mag vor allem das nachbarschaftliche Miteinander, das sich im Innenhof entfaltet.
Der Anblick spielender Kinder, grillender Nachbarn oder Frauen, die Wäsche aufhängen — nichts davon stört ihn, selbst wenn er der Einladung eines Kumpels folgt und sich auf ein Feierabendbier in dessen Garten setzt. „Das Zusammenleben in der Anlage funktioniert einfach“, sagt er.
Freilich könne das angejahrte historische Ensemble eine Sanierung verkraften, räumt Holger Finster ein. Warum die wbg das ablehnt und auf Abriss und Neubau setzt, kann er aber ebenso wenig nachvollziehen wie Nachbarin Silvia Eminoglu aus der zweiten Etage. Eminoglu, die um die Ecke im Hermann-Bezzel-Haus arbeitet, lebt schon seit 19 Jahren mit Mann und Sohn in der Schillingstraße und hat sich in ihrer Drei-Zimmer-Wohnung gemütlich eingerichtet. „Klar muss hier was getan werden und die Wohnungen sind nicht sehr groß“, sagt sie „aber die Größe ist für unsere Familie völlig ausreichend. Es braucht doch nicht jeder 80 Quadratmeter oder mehr.“
Das wbg-Argument, dass die fast hundert Jahre alten Wohnungszuschnitte nicht mehr zeitgemäß sind, beeindruckt auch Holger Finster nicht: Als Single hat er in seiner Drei-Zimmer-Wohnung sogar Platz für eine Werkstatt für seine Modellbahnen. Weil er zudem auf eigene Kosten neue Böden, zusätzliche Stromanschlüsse und eine Gasetagenheizung installiert hat, geht ihm besonders gegen den Strich, dass er raus soll.
Umso erfreuter sind Holger Finster und Silvia Eminoglu, dass sie mit Stefan Schwach einen umtriebigen Mitstreiter gefunden haben, der sich mit den Abrissplänen der wbg nicht abfinden will. Schwach hat eine Online-Petition im Netz gestartet, mit der er hofft, mindestens 500 Unterstützer zu mobilisieren. Mehr als 180 Menschen haben sich schon eingetragen. Tendenz: steigend.
„Von den Anwohnern“, freut so Schwach, „spricht sich auch jeder, mit dem ich mich unterhalte, gegen den Abriss aus. Keiner will hier weg.“ Dass die meisten eher am günstigen Mietpreis von rund drei Euro pro Quadratmeter hängen dürften, während ihn der historische und architektonische Wert interessiert, schmälert seinen Enthusiasmus nicht.
Auch für die Linke Liste, die bislang einzige Stadtratsfraktion, die sich gegen einen Abriss starkmacht, steht der Erhalt von erschwinglichem Mietraum im Vordergrund. „Wer heute neu baut, baut teuer!“ sagt Linken-Stadtrat Titus Schüller angesichts explodierender Bau- und Grundstückspreise. Erhalt und Sanierung müssen laut Schüller daher immer Vorrang vor Abriss und Neubau haben. Das wbg-Projekt an der Schillingstraße ist für ihn ein „Beispiel verfehlter Wohnungspolitik“.
Substanz noch gut?
Um die Wohnanlage zu retten, hat Schüller eine erneute Prüfung durch die Denkmalschutzbehörde beantragt. 2012 waren die Bauten als nicht schützenswert beurteilt worden, weil sie unter anderem in Teilen zerstört, nicht denkmalgerecht saniert und laut den Experten als historisches Bauwerk auch „nicht von bayernweiter Bedeutung“ sind. Das wollen die Abrissgegner ebenso wenig akzeptieren, wie das Argument der wbg, dass die Anlage zu marode sei für eine Sanierung. „Die Substanz ist gut“, lautet ihr Fazit nach einer Vor-Ort-Begehung.
Ihren Vorwurf, dass das Wohnungsbauunternehmen die Anlage seit Jahren bewusst verkommen lasse, um sie abreißen zu können, lässt wbg-Sprecher Dieter Barth aber nicht stehen: Er verweist auf zahlreiche Projekte, wie am Nordostbahnhof, wo man in den vergangenen Jahren erfolgreich saniert hat, und stellt klar: „Der Grund, aus dem die Anlage Schillingstraße nicht mehr zu retten ist, ist aber nicht bröckelnder Putz oder undichte Fenster.“ Weil in der Not nach dem ersten Weltkrieg minderwertige Baustoffe wie Schlackensteine verbaut und selbst Artillerie- Geschoss-Körbe einbetoniert wurden, haben die Bauten laut Barth, vielmehr gravierende strukturelle Probleme.
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