Ballon-Flüchtling gespannt auf Film von "Bully" Herbig

30.10.2017, 23:50 Uhr
Ballon-Flüchtling gespannt auf Film von

© Foto: Reinhard Feldrapp/Haus der Bayerischen Geschichte

"Heimat zu verkaufen" hieß wenig schmeichelhaft die Dokumentation, die im vergangenen Jahr im Bayerischen Fernsehen lief. Im Mittelpunkt: Die Gemeinde Nordhalben im Landkreis Kronach, einst stolze Heimat für 2200 Bürger, nun eine langsame sterbende Kommune mit 1700 wackeren Verbliebenen. Von den 700 Industriearbeitsplätzen, die es in den 1970ern noch bei einem Möbelhersteller, einem Autozulieferer und einem Schiefertafelproduzenten gab, ist kein Einziger übrig geblieben. Mehr als 100 Gebäude im Ort stehen leer und verfallen.

Bürger wehren sich

Die Gemeinde wehrt sich nach Kräften gegen den Niedergang, versucht, Betriebe anzusiedeln, hat ein Künstlerhaus eröffnet. Einer Bürgergenossenschaft gelang es zudem, den geschlossenen Edeka-Markt unter eigener Regie wiederzubeleben.

An der grundsätzlichen Situation ändert das freilich wenig. Deshalb hofft man nun auf einen touristischen Aufschwung durch den Kino-Ruhm, den die Gemeinde ab dem 27. September 2018 einheimsen will.

Dann nämlich soll in den Multiplexen des Landes der Thriller "Ballon" anlaufen, bei dem Michael "Bully" Herbig Regie führt und für den Friedrich Mücke, Karoline Schuch, David Kross, Alicia von Rittberg und Thomas Kretschmann vor der Kamera stehen. Einer der Hauptdrehorte ist dabei Nordhalben, wo in den vergangenen Wochen eine etwa hundertköpfige Filmcrew Station gemacht hat.

Auf Nordhalben ist das Filmteam just durch die erwähnte Dokumentation "Heimat zu verkaufen" aufmerksam geworden. "In Nordhalben sieht vieles noch aus wie vor Jahrzehnten", meint Günter Wetzel, auf dessen Geschichte der Film basiert.

Auch deshalb wurde die Gemeinde wohl als Drehort auserkoren. Denn die schiefergedeckten Häuser ähneln sehr dem Erscheinungsbild der thüringischen Stadt Pößneck im Jahr 1979. Dort lebten damals Günter Wetzel mit seiner Frau und seinen beiden Kindern sowie sein Mitstreiter Peter Strelzyk mit seiner ebenfalls vierköpfigen Familie.

Gemeinsam fassten sie den Plan, mit einem selbst zusammengenähten Heißluftballon aus der DDR nach Westdeutschland zu fliehen. Ein Vorhaben, das sie nach zwei gescheiterten Anläufen in der Nacht des 16. September 1979 erfolgreich über die Bühne brachten. "Heute würde ich das nicht mehr so machen", meint Günter Wetzel, der seit 20 Jahren im Betzensteiner Ortsteil Spies im Landkreis Bayreuth lebt. Nach der Flucht hat der heute 62-Jährige viel Flugerfahrung gesammelt, doch damals ging er noch reichlich naiv an die Sache heran. "Nachts mit dem Ballon zu starten, geht ja noch. Aber nachts zu landen, ist eigentlich völlig unmöglich", gesteht Wetzel ein. Riesiges Glück hatten die acht Passagiere, dass sie sich nicht in den Bäumen oder einer Hochspannungsleitung verfingen, als ihnen das Gas ausging, sondern dass sie über den Waldrand hinausschwebten und auf einem Gebüsch landeten.

Nach der Landung hatten die Flüchtenden zunächst keine Ahnung, auf welcher Seite der Grenze sie sich befanden. "Wir sind dann einfach nach Süden gegangen. Wir haben die kleinen Felder bemerkt — untypisch für die DDR", sagt Wetzel.

Wenig Minuten später kamen dann noch deutlichere Zeichen dafür, dass man sich im Westen befand: ein Strommast mit der Aufschrift "Überlandwerk Naila", eine Scheune mit einem Fendt-Traktor und schließlich ein heranrollender Audi, der sich als Polizeiwagen entpuppte.

Schon einmal ist die Flucht-Geschichte verfilmt worden. 1982 kam die Disney-Produktion "Night Crossing" (deutsch: "Mit dem Wind nach Westen") in die Kinos. "Der Film ist fürchterlich. Ich halte überhaupt nichts davon", meint Wetzel. Der Film sei viel zu actionbetont, die Abläufe würden stark von der Realität abweichen.

Autorenteam hörte zu

Entsprechend reserviert betrachtet er nun die "Bully"-Verfilmung. Trotzdem hat er ebenso wie die Familie Strelzyk dem Autorenteam des Films die Geschichte noch einmal aus der eigenen Sicht erzählt. "Ich bin gespannt, was sie daraus machen", meint Wetzel.

Nordhalbens Bürgermeister Michael Pöhnlein wird es egal sein, wie nah der Thriller an der Realität sein wird. "Einen besseren Werbeträger als ,Bully‘ Herbig hätten wir uns nicht wünschen können. Ich sehe das als echte Chance für uns", sagt er.

Pöhnlein erhofft sich einen Zustrom von Touristen, die die Drehorte besichtigen möchten. In einem leerstehenden Haus wurde eine Apotheke eingerichtet, die der Bürgermeister mit der Filmeinrichtung als Café erhalten möchte. Außerdem hofft er, dass künftig weitere Filme die Reize Nordhalbens präsentieren werden.

Die Leerstände sind in diesem Fall ein Pluspunkt, schließlich sind sie leicht zum Dreh zu nutzen. Die aufgegebene Raiffeisen-Bank etwa wurde für "Ballon" in eine Sparkasse umgewandelt, andere Gebäude mit Vorhängen und historischen Schriftzügen in die 1970er zurückversetzt.

Den Fluchtballon von 1979 gibt es noch immer. Lange war er im Heimatmuseum von Naila zu sehen. Doch ab Ende 2018 soll er eines der herausragenden Ausstellungsstücke im neuen Museum der Bayerischen Geschichte sein. Wetzel hatte sich lange gegen diese Leihgabe gewehrt, er wollte, dass der Ballon nahe des Landeplatzes gezeigt wird. Mittlerweile hat er seine Meinung aber radikal geändert: "In Naila ist er halt sehr versteckt und nur Sonntagnachmittag zu sehen. In Regensburg können ihn künftig sehr viel mehr Leute sehen."

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