Einöde dient Bewohnern als Rettungsanker

15.04.2016, 17:39 Uhr
Einöde dient Bewohnern als Rettungsanker
Einöde dient Bewohnern als Rettungsanker
Einöde dient Bewohnern als Rettungsanker

Petra hatte ein massives Alkoholproblem, sagt Otto Senger, Leiter des Hauses. Das hat sie natürlich immer noch. Wer es in dieser Form hat, bekommt es nie mehr los. „Sie hatte viele Beziehungen“, sagt Senfger. Oft zu Männern, die dasselbe Problem hatten. Ein Teufelskreis, „aus dem du nicht so ohne Weiteres herauskommst“.

Jetzt ist Petra guter Dinge. Sie lebt inzwischen in einer Wohngruppe. Das Suchthilfe-Haus betreibt mehrere solcher Gruppen. In Behringersmühle, in Gößweinstein, in Ebermannstadt. Petra lebt noch in Doos. Auch da existiert gleich neben dem Stammhaus ein Häuschen, in dem Süchtige leben, die „auf dem Sprung sind“. Alles in allem betreut der Deutsche Orden um die 50 Männer und Frauen.

Viel Arbeit, keine Langeweile

Die Frau hat gut zu tun jeden Tag. Sie arbeitet in der Waschküche, übernimmt Näharbeiten. Nicht nur Kleinkram, „da sind auch große Vorhänge dabei“. Nein, von Langeweile könne im Haus Aufseßtal nicht die Rede sein. „Es wird viel angeboten, ich fühle mich hier wohl“, sagt sie. Was fehlt, sei eine vernünftige Verkehrsanbindung. Will ein Bewohner zum Einkaufen nach Waischenfeld oder Gößweinstein, ist er auf den Shuttlebus-Verkehr der Einrichtung angewiesen.

„Außer dem Schulbus morgens und abends gibt es hier keinen öffentlichen Personennahverkehr“, sagt Senger (59). Er ist von Anfang an dabei: 1992 wurde das Suchthilfe-Haus gegründet. Mit 29 stationären Wohnplätzen. Eine echte Neuorientierung für diese Einöde, einst eine Poststation, einst ein renommiertes Gasthaus. 2017 feiert die Einrichtung also ihr 25-jähriges Bestehen. Eine Einrichtung, die nicht völlig abgeschlossen vor sich hin arbeitet. Die von Frühjahr bis Herbst regelmäßig von Wanderern und Urlaubern aufgesucht wird.

Kontakt zur Außenwelt

Denn: Hier gibt es auch ein Tagescafé, betreut von den Bewohnern, besucht von „durchaus vielen Gästen“, sagt Senger. Wichtig sei dieses Café. Weil es den suchtkranken Bewohnern den Kontakt mit der Außenwelt ermöglicht. Diese Bewohner werden immer älter. Weil viele von ihnen lange hier bleiben. Weil es ihr gesundheitlicher Zustand nicht erlaubt, das Haus zu verlassen. Weil sie zum Teil auch gar nicht mehr weg wollen.

So wie Karin. Für die 70-Jährige ist Doos seit 2007 ihre neue Heimat. „Ich kam hier zur Tür rein und wusste, hier kann ich mich zu Hause fühlen“, sagt sie. Auch sie ist alkoholkrank. Das löste der Tod ihres Mannes vor ein paar Jahren aus, „oft spielt da Einsamkeit eine große Rolle“, sagt Otto Senger. Die Bewohnerin Karin zeichnet im Haus Aufseßtal für den Blumenschmuck verantwortlich, sie putzt, sie ist im „hauswirtschaftlichen Bereich“ unterwegs. Halbtags. Denn wer hier über 65 ist, muss nicht mehr den ganzen Tag aktiv sein.

Das Haus verfügt über mehrere Abteilungen. Da ist die Schreinerei, da ist die Gärtnerei, da ist die Küche, da ist die Montage. In Letzterer arbeiten vor allem Patienten, die unter schweren Suchtfolgen leiden. Deren Kurzzeitgedächtnis nicht mehr so richtig funktioniert, die motorische Erkrankungen haben. Da geht es um das, was man Serienfertigung nennt.

Für das Küchenzubehörunternehmen Fackelmann zum Beispiel. Die Bewohner werden natürlich nicht alleine gelassen. Sie müssen von Fachkräften angeleitet werden. Gerade in der Schreinerei. „Da haben wir erfahrene Handwerker, die sich beruflich auf neue Wege begeben haben“, sagt Senger.

Weniger Neuankömmlinge

Der Altersdurchschnitt der Menschen im Haus Aufseßtal liegt inzwischen bei 54 Jahren. „Am Anfang waren wir bei 45, aber manche leben hier seit 20 Jahren.“ Der Platz ist begrenzt. Daher nimmt die Zahl der Neuankömmlinge ab und versuchen Senger und seine knapp 20 Mitarbeiter, die Patienten in die erwähnten Wohngruppen zu integrieren. Dort ist Verantwortung gefragt: „Wer besser dran ist als andere, übernimmt auch Betreuungsaufgaben.“ Dort wird in Eigenregie gekocht, gewaschen, ein Haushaltsbuch geführt.

Aber bei Weitem nicht alle können diesen Schritt gehen. Viele werden im Haus Aufseßtal ihren Lebensabend verbringen. Und damit abgeschnitten von der „großen weiten Welt“. Otto Senger hofft, dass endlich der Radweg nach Waischenfeld kommt. Denn so mancher Bewohner fährt dorthin mit dem Rad zum Einkaufen. „Das funktioniert nicht bei allen, das muss ich manchen verweigern“, so Senger.

Weil das angesichts des massiven Verkehrs — Stichwort Motorradfahrer — für den einen oder anderen zu gefährlich ist: „Da macht einer einen Schlenker zur Fahrbahnmitte, da hält einer plötzlich an, um sich eine Zigarette anzuzünden, das geht nicht.“

In einem Punkt hat Senger die Hoffnung schon so gut wie aufgegeben: Er glaubt nicht mehr an das schnelle Internet für Doos. „Wenn du hier ein Bild hoch- und runterlädst, reicht eine Tasse Kaffee für die Wartezeit nicht aus.“ Und auch der Handyempfang lässt mehr als zu wünschen übrig.

Kontakt zur Familie ist wichtig

Petra kennt da aber schon ein paar Ecken, „wo das klappt“. Sie freut sich auf ihr neues Zuhause. Wenn sie denn eines findet. Und Karin freut sich darauf, in dieser Einöde in einer Gemeinschaft erfüllten Lebensabend zu genießen. Das wird ihr erleichtert durch einen wieder aufgenommenen Kontakt zu ihrer Tochter in München.

Auch Petra hat wieder das, was hier vielen fehlt: eine Beziehung zu Verwandten, bei ihr ist es die Schwester im Raum Bamberg. Das hilft, sagt Otto Senger. Und es ist alles andere als selbstverständlich.

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