Schulen in Region setzen verstärkt auf Gespräche
18.2.2016, 16:06 UhrDer wohl bedeutendste Vorteil ist: Lehrer, Eltern und Schüler kommen miteinander ins Gespräch. Schon seit längerem haben Lehrer den scheinbaren Widerspruch zwischen innovativen Unterrichtsmethoden und den eher altmodischen, auf Noten basierenden Leistungsbewertungen kritisiert. Das Bayerische Kultusministerium hat reagiert. Seit dem Vorjahr können Grundschulen wählen, ob es in den 1. bis 3. Klassen herkömmliche Zwischenzeugnisse oder ein Lernentwicklungsgespräch gibt.
Die Grundschulen in Neuhaus/Pegnitz und Pegnitz nutzten diese Möglichkeit gleich nach der Einführung. „Die vielen positiven Rückmeldungen bestärken uns, diese Art des Informationsaustausches beizubehalten“, sagt die Pegnitzer Schulleitung und spricht damit auch der Neuhauser Rektorin Katja Höllerer aus dem Herzen. Die Grundschule Betzenstein-Plech hat das neue Verfahren heuer für die 3. Klassen eingeführt, um erste Erfahrungen zu sammeln und das Gespräch eventuell auch auf die Kombiklassen der niedrigeren Jahrgänge auszuweiten. An der Auerbacher Dr.-Heinrich-Stromer-Grundschule haben sich Elternbeirat und Lehrerkollegium entschieden, dass die Eltern aller Erst-, Zweit- und Drittklässer erstmals zu einem Gespräch eingeladen werden. Die ebenfalls kontaktierten Grundschulen in Königstein und Pottenstein haben bis Redaktionsschluss leider nicht geantwortet.
An der Grundschule Pegnitz finden die Lernentwicklungsgespräche in den ersten bis dritten Klassen statt. „Hierbei wird jedes Kind zusammen mit seinen Eltern zu einem etwa 20- bis 30-minütigen Gespräch mit der Lehrkraft eingeladen, um gemeinsam das Verhalten in der Gemeinschaft, das Lern- und Arbeitsverhalten sowie den Lernstand des Kindes zu besprechen“, erklären Rektorin Christa Bauer und ihre Stellvertreterin Tanja Engelbrecht. Im Gegensatz zum Fließtext im Zwischenzeugnis bieten die Lernentwicklungsgespräche die Möglichkeit, mit dem Kind über seine Lernfortschritte zu sprechen.
Schüler ermutigen
Dabei können die Stärken verständlich hervorgehoben und die Bereiche, die mehr Übungsbedarf haben, in kindgerechter Weise herausgearbeitet werden. Die Kinder werden dabei ermutigt, sich selbst einzuschätzen. „Erfahrungsgemäß gehen die Kinder gestärkt, von Stolz erfüllt und motiviert aus dem Gespräch.“ Die Eltern fühlen sich, auch aufgrund der Möglichkeit, während des Gesprächs unmittelbar nachfragen zu können, umfassend informiert.
Die Grundschule Neuhaus/Pegnitz hat im Schuljahr 2014/15 die Lernentwicklungsgespräche in den Jahrgangsstufen 1 bis 3 eingeführt. Der Vorteil ist für Rektorin Katja Höllerer und ihr Kollegium klar: „Der Lehrer hat exklusive Zeit und ungeteilte Aufmerksamkeit für jeden einzelnen Schüler, was in dieser Form im normalen Schulalltag nicht möglich wäre. Es ergibt sich die Chance einer offenen, wertschätzenden Lernpartnerschaft zwischen Schülern, Eltern und Lehrern.“ Bei einer Elternbefragung erhielt die Schule im vergangenen Schuljahr fast ausschließlich positive Rückmeldungen. Viele Eltern halten die Gespräche für verständlicher als die schriftlichen Formulierungen im Zeugnis und das direkte Gespräch mit dem Kind für sehr zielführend.
Das Schreiben eines Zeugnisses dauert pro Grundschulkind rund drei Stunden. Diese Zeit könne sich sogar noch erhöhen, da im vergangenen Schuljahr ohne Rücksprache mit Kollegen und Schulleitungen die Zeugnisformulare geändert wurden, so dass jetzt auch die Dritt- und Viertklasslehrer Noten und Texte zu jedem Fach schreiben müssen, sagt die Rektorin. Das Lernentwicklungsgespräch mit Vor- und Nachbereitung stehe rein vom zeitlichen Aufwand den Zeugnissen in nichts nach, so Höllerer, habe aber die geschilderten Vorteile.
Erstmalig wird in der Dr.-Heinrich-Stromer-Grundschule Auerbach auf ein Zwischenzeugnis für die Klassen 1 bis 3 verzichtet. „Im Kollegium sind wir stets offen für eine gute und vor allem sinnvolle Änderung im Schulsystem“, erklärt Rektorin Gabriele Appl. Die Einführung des Lernentwicklungsgesprächs wurde in einer Lehrerkonferenz beschlossen. In schulinternen Fortbildungen hat sich das Kollegium von externen Kolleginnen über deren Erfahrungen berichten lassen. Gemeinsam wurden Einschätzungsbögen erstellt, die vom Kind und der Lehrkraft ausgefüllt werden.
Im direkten Vergleich spreche eindeutig mehr für das Lernentwicklungsgespräch: „Eine Unterschrift aller Beteiligten besiegelt die gemeinsam erarbeiteten Ziele. Damit holen wir das Kind selber viel mehr mit ins Boot.“ Auch die Mitglieder des Elternbeirats begrüßten die Einführung und waren positiv überrascht von den Inhalten, der sensiblen Gesprächsführung und der Gesprächsatmosphäre. Die Rektorin beobachtet die Reaktionen genau: „Eine Mutter sprach sogar von Wohlfühlatmosphäre. Es war sehr interessant zu beobachten, wie stolz die meisten Kinder in das Gespräch gingen und wieder herauskamen.“
An der Grundschule Betzenstein-Plech möchten die beiden Lehrkräfte der zwei dritten Klassen die Möglichkeit der Information über die Schulleistungen der Kinder ausprobieren. „Die Erfahrungen fließen dann in die weitere Verwendung dieser Möglichkeit ein“, erklärt Rektor Andreas Luber. In der Eingangsstufe gebe es drei jahrgangskombinierte Klassen 1/2. Für diese soll mit den Erfahrungen der dritten Klassen im kommenden Schuljahr abgewägt werden, was sinnvoller ist.
Unklarheiten klären
Beide Möglichkeiten haben Vor- und Nachteile, meint Luber. Zeugnisse liefern eine komprimierte Leistungsbeurteilung und seien für die Eltern vielleicht klarer. Beim Lernentwicklungsgespräch kommen alle am Lernprozess Beteiligten zu Wort und können Unklarheiten zusammen klären. „Im Zentrum des Lernentwicklungsgesprächs stehen die Kinder, denn das Gespräch wird vorwiegend mit dem Kind geführt“, sagt der Rektor. Allerdings müssen die Lernentwicklungsgespräche teilweise auch am Wochenende oder in den Abendstunden stattfinden, weil sonst nicht alle Eltern bedient werden könnten.
Ganz ohne „Zeugnis“ müssen die Kinder, die mit ihren Eltern an einem Gespräch teilgenommen haben, heute aber nicht nach Hause gehen. Der besprochene und ergänzte Lernentwicklungsgesprächsbogen wird ihnen am Tag der offiziellen Zeugnisausgabe ausgehändigt. Die Drittklässer finden darin auch ihre Noten. In Neuhaus erhält jedes Kind seine eigenen Zielvereinbarungen als Kärtchen für das Schreibmäppchen, um immer einen Blick drauf werfen zu können. In Auerbach bekommen die Eltern zusätzlich einen Rückmeldebogen, in dem sie schriftlich ihre Erfahrungen zur „Zwischenzeugnis-Alternative“ mitteilen können.
Ein normales Zeugnis schütteln die Lehrkräfte nicht aus dem Ärmel, macht die Auerbacher Rektorin deutlich. Das Formulieren nehme oft mehr als drei Stunden in Anspruch. „Trotzdem investieren wir gerne diese Zeit in jedes einzelne Kind und werden dies ebenso gerne auch in Zukunft bei den Lernentwicklungsgesprächen tun“, betont Gabriele Appl.
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