Milena Slupina: "Ich will meine Grenzen immer weiter verschieben"

27.12.2018, 17:22 Uhr
Milena Slupina:

© Steffi Graff

Was gibt es als Belohnung für den Vizeweltmeistertitel im 1er-Kunstradfahren der Frauen? "Überstunden." Mit dieser knappen, aber klaren Ansage bei der Sieger-Pressekonferenz der Weltmeisterschaft in Lüttich Ende November ist vieles gesagt, was das sportliche Leben von Milena Slupina prägt. Wer im 1er-Kunstradsport der Frauen an der Weltspitze fahren will, der braucht Durchhaltevermögen in vielerlei Hinsicht.

Tägliche harte Arbeit

Was im Wettkampf so flüssig und selbstverständlich aussieht, ist das Ergebnis jahrelanger, knallharter täglicher Arbeit. In der Turnhalle, außerhalb der Halle, mit und ohne Fahrrad. Knallharte Arbeit gleich im Anschluss an einen ebensolchen Arbeitstag als Konstruktionsingenieurin. Vollzeit. Ein durchgetakteter Alltag, in dem man sich im Training von der Arbeit und in der Arbeit vom Training erholen muss. "Ich kann das", hat sie schon vor Jahren mal gesagt. "Ich brauche wenig Pausen und kann mich gut organisieren."

Seit vielen Jahren ist die 23-jährige Rotherin Dauergast bei der Sportlerehrung des Landkreises. An ihr kommt man beim Nominieren der Kandidaten zur Wahl der Sportlerinnen und Sportler des Jahres nicht vorbei. Sie ist einfach eines der sportlichen Aushängeschilder des Landkreises, hat Bernlohe zu einem Dorf mit klangvollem Namen sehr weit über die Landkreisgrenzen hinaus gemacht. Dreimal wurde sie bereits mit der gläsernen Eins ausgezeichnet. Für sportliche Höchstleistungen in einer höchst komplexen Sportart, die außerhalb der Szene kaum einer kennt, die nicht olympisch ist und der die fetten Töpfe der Spitzensport-Förderung fehlen.

Milena Slupinas Sportjahr 2018 war ein richtig großes. Größer, dichter, anstrengender als jedes davor. 2017 war sie Weltmeisterin geworden. Das ganze Jahr hatte sie auf dieses Ziel hingearbeitet und es erreicht. Ein Triumph.

2018 war ganz anders. Dafür hatte die UCI – der Weltradsportverband – gesorgt, indem er den Elite-Kunstradsportlern gleich mehrere Neuerungen in den Wettkampfkalender eingetragen hat: eine Europameisterschaft (für die Slupina im April die Quali knapp verpasste) und einen vierteiligen Weltcup, der sich von Februar bis November zog. Daneben die "ganz normale" Saison mit ihren Qualifikationswettbewerben, der German-Masters-Serie, der deutschen Meisterschaft, der WM-Quali.

Mehr Aufmerksamkeit

Die Weltmeisterin 2017 hatte keinen Augenblick gezögert, sich den neuen Herausforderungen zu stellen. "Wir müssen alles tun, um mit unserem großartigen Sport mehr Menschen zu erreichen." Alle Chancen nutzen, auch wenn vor einem Jahr keiner so richtig wusste, wie das gehen sollte in dieser Premieren-Saison. Ihr bodenständig-fränkisches Motto ("des wird scho") sollte auch dieses Jahr fruchten.

Wettkampfsaison das ganze Jahr hindurch statt wie bisher mit dem Schwerpunkt Herbst, noch weniger Regenerationszeit, eine komplette Umstellung des Trainings, noch mehr Reisen. Keine freien Wochenenden, erst recht kein Urlaub. Und das alles mit einer ganz normalen Vollzeit-Berufstätigkeit unter einen Hut bringen. Zum Vergleich: 2017 stand im August noch letzte Saisonvorbereitung auf dem Programm, 2018 galt es im gleichen Zeitraum sich bei der dritten Weltcup-Veranstaltung in Hongkong zu beweisen. Das Weltcup-Finale in Erlenbach und die Weltmeisterschaft in Belgien fanden im November mit nur wenigen Tagen Abstand statt. "Extreme Wochen" seien das gewesen, berichtet Milena Slupina.

Dauerbelastung

Ihr ist es tatsächlich gelungen, die Formkurve über das ganze Jahr hoch zu halten, dazu weiter an Schwierigkeit zuzulegen und dem Druck der Dauerbelastung stand zu halten. Auch eine Kämpferin wie sie braucht Rückhalt und einen starken Partner an der Seite.

Bei den Slupinas ist der Erfolg Familiensache. Mutter und Trainerin Petra ist immer und überall dabei. "Ohne sie wäre das alles nicht möglich", betont die Ausnahmeathletin, die 2018 von Erfolg zu Erfolg gefahren ist: Bezirksmeisterin, Bayerische Meisterin, Deutsche Meisterin. Zweite in der German-Masters-Gesamtwertung, bis zum Finale die Führung im Weltcup, schließlich Weltcup-Zweite. Die schwierige Quali für die WM souverän gemeistert, ein Fabelergebnis in der WM-Vorrunde, am Ende Vizeweltmeisterin. "Ich habe mich sehr über diesen zweiten Platz gefreut. Ich bin doch nicht nur gekommen, um zu gewinnen" sagt sie.

Durch die Decke

Nur wer weiß, wie hochkarätig und dicht das Feld der deutschen Spitzenfrauen besetzt ist, kann ermessen, was es heißt, über so lange Zeit immer ganz oben dabei sein zu können. "Die Ergebnisse der Frauen sind heuer durch die Decke gegangen." Milena Slupina ist mitgegangen: 15 Mal hat sie in diesem Jahr über 180 Punkte ausgefahren. Davon lagen fünf Ergebnisse sogar über der 190-Punkte-Marke, eines davon bei der Weltmeisterschaft. Es ist das beste Ergebnis, das jemals von einer Frau bei einer WM ausgefahren worden ist. Zum erneuten Titelgewinn haben im Finale nur knapp zwei Punkte gefehlt.

Bei den ersten German Masters Anfang September war sie einen Weltrekord gefahren – der aber nur wenige Minuten Bestand hatte. Doch mit 192,11 Punkten hält Milena Slupina die aktuelle Weltbestleistung in ihrer Disziplin.

Ihre Bilanz 2018: "Ich bin sehr zufrieden. Ich hatte noch nie so viele so gute Ergebnisse." Statt Urlaub machte sie nach der WM erst einmal besagte Überstunden im Betrieb. "Auch da gibt es viel zu tun." Über Weihnachten gönnt sich aber auch die scheinbar Unermüdliche etwas Ruhe im Familienkreis, um Kraft zu schöpfen für Neues: 2019 ist ein ähnliches Wettkampfpensum wie 2018 geplant.

Einer der vier Weltcups wird voraussichtlich wieder in Asien stattfinden, der Terminkalender in Europa und bei den nationalen Wettbewerben in Deutschland ist voll. Wie viel Kraft, Zeit und Geld das kostet, hat 2018 gezeigt. Die Rotherin will es noch einmal stemmen. "Ich freue mich natürlich über jede Unterstützung."

Schließlich hat sie sich viel vorgenommen für das nächste Jahr. Auch in Sachen Schwierigkeit will sie noch eine weitere Schippe draufpacken. "Da geht noch was. Ich will und kann meine Grenzen weiter verschieben."

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