Schnaittach-Doppelmord: Großer Medienrummel bei Prozess

19.2.2019, 07:19 Uhr
Schnaittach-Doppelmord: Großer Medienrummel bei Prozess

© F.: Franken Fernsehen

Es war ein dramatischer Appell, mit dem sich Ingo P. im Januar 2018 über Franken Fernsehen an die "sehr geehrten Damen und Herren", die "lieben Verwandten" und die "lieben Familienmitglieder" wandte: Die Zuschauer, die zu Hinweisen zu den vermissten Eltern aufgefordert werden, sehen den 25-Jährigen und dessen 22-Jährige Frau auf einem braunen Sofa sitzen. "Wir vermissen sie schmerzlichst", sagt Ingo P. mit Dackelblick, Stephanie, eine gelernte Kinderpflegerin im rosa Pullover, trägt die blonden Haare frisch gelockt. Sie schluckt mehrfach, nickt zu Ingos P. Worten. Es wirkt, als ringe sie um ihre Fassung. Ihre barocken Figuren verleihen beiden weiche Gesichtszüge.

Ingo P., ein Informatiker, hat die Hände gefaltet: "Die größte Freude, die man uns machen könnte, wäre einfach, dass die beiden wieder zur Tür reinkommen. Dass wir wenigstens wissen, was mit ihnen passiert ist."

Am 28. Dezember 2017 hatte er seine Eltern als vermisst gemeldet, einen Tag später heirateten Ingo und Stephanie P., am 22. Januar 2018 entdeckten die Ermittler mit Hilfe von Spürhunden Elfriede (66) und Peter P. (70) auf deren eigenen Grundstück in Schnaittach. Tot. Eingemauert im Anbau ihrer Garage, eingelegt in Salz – wohl um zu verhindern, dass Blut aus dem Mauerwerk dringt. Und dort lagen die Körper der Ps. schon, als der Fernsehbeitrag gedreht wurde.

Erst DNA-Bestimmung brachte Gewissheit

In der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2017, davon geht die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth aus, erschlug Ingo P. seine Mutter mit einem Zimmermannshammer. Sie lag im Bett, als er sie umgebracht hat, gleich darauf tötete er, so der Vorwurf, seinen hinzukommenden Vater.

Die eindeutige Identifizierung der Frau war später nur mit Hilfe einer DNA-Bestimmung möglich, zu schwer waren ihre Verletzungen am Kopf. Ob sie zur Tatzeit schlief? Möglich, dass Rechtsmediziner in der Beweisaufnahme diese Frage beantworten können. Anfang Januar wurde das Wohnmobil der Eltern im Internetkaufhaus Ebay zum Verkauf angeboten.

"... und in Schnaittach geht's auch zu Ende" 

Seither sind nicht nur die Schnaittacher schockiert. In sozialen Medien im Internet gilt das verzweifelte Paar als kaltblütig. In seinem Fernseh-Interview teilt Ingo P. auch mit: "Der Punkt ist auch der: Mein Vater ist in Schnaittach geboren. Er hat immer gesagt: Er kommt in Schnaittach auf die Welt und in Schnaittach geht’s auch zu Ende."

Das junge Paar lebte mit den Eltern unter einem Dach – und wenn die Anklage zutrifft, lasten ein Doppelmord und zwei Mordanschläge auf den Gewissen von Ingo und Stephanie P.: Ist es denkbar, dass die beiden nicht heuchelten, sondern den Mord an der Eltern – in einer Art doppelten Buchführung im Geiste – nicht wahrhaben wollten und verleugneten? Auch der erfahrene Psychiater Michael Wörthmüller, er hat bereits mit beiden Angeklagten gesprochen, wird als Sachverständiger an dem Gerichtsverfahren teilnehmen und zu erklären suchen, was in Ingo und Stephanie vor sich ging.

Mordkommission ermittelt in dem Verfahren

Die Schwurgerichtskammer plant mit 21 Verhandlungstagen bis Ende April und hat 68 Zeugen geladen. Viele weitere Fragen sind offen: Stephanie P. soll zum Tatzeitpunkt bei ihren Eltern in Burgthann gewesen sein. Doch sie soll auch merkwürdig-auffällig recherchiert haben – etwa zum rätselhaften Verschwinden der vermissten Heidi D. aus Fischbach. Die Postbotin kam im November 2013 nicht mehr vom Joggen zurück. Erst im Mai 2018 hatte die Staatanwaltschaft Nürnberg-Fürth eine Durchsuchung des Anwesens angeordnet, im Haus schlug ein Leichenspürhund Alarm. Die Nürnberger Mordkommission ermittelt in dem Verfahren, immer wieder gab es Verdachtsmomente gegen den Lebensgefährten. Heidi D.s Familie stellte damals eine Internetseite online, in der sie auf das Verschwinden der damals 49-Jährigen aufmerksam machte.

"In diesem Strafverfahren muss ganz genau betrachtet werden, ob und wie tief Stephanie P. überhaupt in die Tat verstrickt ist", erklärte Rechtsanwalt Alexander Seifert gegenüber den Nürnberger Nachrichten, auch Michael Zahareas und Michael Spengler gehören zu den Strafverteidigern der Frau. Rechtsanwalt Jürgen Pernet verteidigt Ingo P.

Ahnte das Opfer etwas? 

Tatsächlich ist die Anklage, die Staatsanwalt Stefan Rackelmann am Dienstagvormittag im Saal 600 verlesen wird, voller Wucht: Bereits im Herbst 2017 soll das junge Paar Mutter Elfriede P. mit Rizinus-Samen vergiftete Muffins aufgetischt haben – der Botanische Garten Hamburg präsentierte den Wunderbaum oder Rizinus übrigens als Giftpflanze des Jahres 2018. Nachdem Elfriede P. die kleinen Kuchen verzehrt hatte, kämpfte sie angeblich mit Vergiftungserscheinungen wie Durchfall und Erbrechen, doch sie überlebte.

Wochen später wurde der Mutter angeblich in eine Tasse Kaffee GBL gemischt – bei der Substanz "Gamma-Butyrolacton" handelt es sich um ein Lösungsmittel, das in Putzmitteln oder Klebstoff steckt. Der Geschmack nach Pinselreiniger soll so auffällig gewesen sein, dass sie nur einen kleinen Schluck nahm. Nur deshalb überlebte die Frau, vermuten die Ermittler.

Angenommen, all die Vorwürfe treffen zu: Wäre es denkbar, dass Elfriede P. ahnte, dass ihr der Sohn nach dem Leben trachtete? Die Staatsanwaltschaft führt Heimtücke, Habgier (das Geld der Eltern) und die Idee, mit dem Mord eine andere Straftat (die Giftanschläge) zu verdecken, ins Feld. Setzte Ingo P. in der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 2017 nur seine Mordpläne fort?

Am 22. Januar rückten die Ermittler gegen acht Uhr morgens mit Bagger und Presslufthämmern in der Schnaittacher Hedersdorfer Straße 17 an, zeitgleich nahmen Polizeibeamte die tatverdächtigen Ingo und Stephanie P. fest. Beide sitzen seither in U-Haft – und schreiben sich angeblich Liebesbriefe.