Von Menschen und Steinen
26.2.2011, 23:00 UhrWegen der „Jahrhundertsanierung“. Gestern Abend erklang zum vorerst letzten Mal die große Orgel. Am Wochenende führt Klaus Huber noch einige Male durch das Gotteshaus. Morgen um 10 Uhr ist der „Abschiedsgottesdienst“. Und im folgenden Artikel streift Historiker Eugen Schöler noch einmal durch die (Kirchen-)Geschichte.
Es ist mit unserer Stadtkirche wie mit einem Teich: Man wirft ein Stichwort hinein, schon breiten sich nach allen Richtungen Wellen aus und streifen rund 500 Jahre deutscher und europäischer Geschichte.
Fragen wir zum Beispiel nach Erinnerungen an die Exulanten vor rund drei Jahrhunderten, also an österreichische Glaubensflüchtlinge, deren Schicksal gerade in diesem Jahr durch die verdienstvollen Forschungen und Aktivitäten von Pfarrer i.R. Karl Heinz Keller eine neue Würdigung erfährt, so werden wir bei einem Gang durch unsere Stadtkirche gleich mehrfach fündig:
Unmittelbar vor dem Hochaltar zeigt ein Bronze-Epitaph die Grabstätte von Agnes Dangrieß an, die aus Eferding bei Linz stammte und 1625/26 mit Ehemann und Kindern über Regensburg nach Schwabach geflüchtet war.
Zeitzeugnisse in der Stadtkirche
Die Eheleute wurden treue Mitglieder der Ev.-Luth. Kirchengemeinde, übernahmen mit Erfolg die Gastronomie im Vorgängerbau der späteren „Fürstenherberge“ und waren voller Zuversicht auf eine friedliche Zukunft, als im Sommer 1632 der 30-jährige Krieg mit voller Wucht auch Schwabach erreichte. Die Eroberung der Stadt durch die Truppen Wallensteins wurde für die gesamte Bevölkerung zu einer furchtbaren Heimsuchung. Viele Menschen suchten Zuflucht in der Stadtkirche. Die Augenzeugin Agnes Dangrieß hat das Geschehen nur um wenige Monate überlebt. Am 7. Oktober 1632 ist sie im Alter von erst 36 Jahren gestorben. Die bewegende Inschrift auf dem Epitaph hat ihr Mann ihr gewidmet.
Ein glücklicheres Schicksal war einer anderen Exulantin beschieden, deren eindrucksvolles, steinernes Grabdenkmal rechts hinter dem Hochaltar ebenfalls in unserer Stadtkirche erhalten blieb: Helena Catharina von Bernerdin, geborene von Händel, gehörte als junge Frau zu einer Gruppe von Exulanten, die sich nach dem 30-jährigen Krieg von der Steiermark aus auf den langen, strapazenreichen Weg ins „gelobte Land“ begeben hatten, womit damals die evangelischen deutschen Fürstentümer und Reichsstädte gemeint waren. Ihr engagierter Bruder Johann Matthias von Händel hat die mitgebrachten Gelder der Familie – wie manche der finanziell besser gestellten Exulanten – in Immobilien umgesetzt; in Unterreichenbach erwarb er schon 1653 Grundbesitz, ließ bis 1665 ein Schlösschen errichten und kaufte zusätzlich Anwesen in Pflaumfeld bei Gunzenhausen und in Steinhart am Rande des Ries. Der Händel-Platz in Unterreichenbach erinnert bis heute an den Erbauer des heute längst verschwundenen (später markgräflichen) Schlosses.
Helena Catharina von Händel heiratete noch in Regensburg den aus Kärnten stammenden Exulanten Christoph Andreas von Bernerdin, dessen Familie in Württemberg heimisch wurde. Sie hat die Fertigstellung des Unterreichenbacher Schlösschens ihres Bruders nicht mehr miterlebt. Als sie 1657 im Alter von erst 44 Jahren starb, wurde sie im Chor der Schwabacher Stadtkirche beigesetzt. Die exakte Lage ihres Grabes, wie das der dritten Ehefrau ihres Bruders, einer Gräfin Concin, ist auf einem farbigen Lageplan neben der Sakristei angegeben.
Berühmter Name
Kenner der Literaturgeschichte zur Goethe- und Schillerzeit werden beim Anblick des Wappens und beim Namen Bernerdin aufhorchen: Denn eine geborene von Bernerdin und Ur-Ur-Großnichte „unserer“ Helena Catharina ist auch die berühmte Franziska von Hohenheim gewesen; ab 1772 Mätresse und ab 1785 kirchlich angetraute Ehefrau des berüchtigten Herzogs Karl Eugen von Württemberg, der missliebige Untertanen, wie zum Beispiel Christian Friedrich Daniel Schubart, den zeitkritischen Dichter und Verehrer Friedrichs des Großen von Preußen, am liebsten auf der Festung Hohenasperg einsperren ließ. Vor der herzoglichen Tyrannei ist bekanntlich der junge Friedrich Schiller nach Mannheim geflohen.
Franziska gelang es tatsächlich, den unberechenbaren Herrscher allmählich zu einem halbwegs fürsorglichen Landesvater umzuformen und ihn sogar zur Freilassung von manchen politischen Gefangenen zu bewegen: So hat sie am 11. Mai 1787 (sicher mit Unterstützung Preußens und, wie sie in ihrem Tagebuch notierte, im Beisein des Herzogs) persönlich dem inhaftierten Schubart die Freilassung verkünden können. Württembergs dankbare Bevölkerung hat ihr Wirken nicht vergessen und ihr den Ehrentitel „Engel von Württemberg“ verliehen.
Damals lebte von den Nachkommen ihrer Händel-Bernerdin-Verwandten niemand mehr auf Schloss Unterreichenbach. Sollte sie aber die 1793 herausgegebene Autobiographie des Universalgenies und „leichtsinnigen Brausekopfs“ Schubart gelesen haben, so ist sie zumindest auf den Namen Schwabach gestoßen: Denn hier ist seine frühe, von ihm später selbstkritisch beurteilte Dichtung, das Klagelied „auf das fürchterliche Erdbeben vom 1. November 1755, das Lissabon hinunterschlang“, im Druck erschienen. Wie war das doch mit den Wellen...?
Literatur und Quellen:
Ev.-Luth. Kirchengemeinde Schwabach-Unterreichenbach (Hrsg.): Mein Reichenbach, 1996.
„Genealogia Derer von Bernerdin zum Pernthurn auf Pregrat, aus Kaerndten, zu Sindlingen in Schwaben“; handschriftliches Original im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, B 580, Bü 80 , o.J.
Thomas Kuster: Franziska von Bernerdin, Reichsgräfin Hohenheim. In: Der Aufstieg und Fall der Mätresse im Europa des 18. Jh. (Ausgewählte Beispiele); Innsbruck 2001.
Eugen Schöler: Ein heraldischer Spaziergang durch unsere Stadtkirche. Handschriftliches Unikat von 1995 in der Schwabacher Kirchenbibliothek.
Eugen Schöler (Hrsg.), Sabine Weigand, Wolfgang Dippert: Historisches Stadtlexikon Schwabach; Stadt Schwabach 2008.
Ulrich Bertram Staudenmayer (bearb.): „C.F.D. Schubarts Leben und Gesinnungen“, Heidenheimer Verlagsanstalt 1969.