Was wäre das Münchner Oktoberfest ohne seine Grantler?
28.9.2013, 07:00 UhrDoch Udes Horrorvision, nachzulesen in seinen „verfrühten Memoiren“, trat nicht ein. Auch die letzte Anzapfzeremonie seiner Amtszeit als OB brachte Ude mit Bravour und nur zwei Schlägen hinter sich.
In einem verwirklichte sich freilich die satirische Vision des Münchner Stadtoberhaupts: Die Chinesen sind da. Und mit ihnen viele andere Asiaten, die inzwischen über das nötige Kleingeld verfügen, um das größte Volksfest der Welt zu besuchen. US-Amerikaner, Briten, Australier und besonders Italiener sind schon seit Jahrzehnten Stammgäste auf der Wiesn. Jetzt sorgen die Asiaten dafür, dass die Wachstumsspirale nicht zum Stillstand kommt.
Neue Rekorde sind kaum möglich
Mit dem Münchner Oktoberfest ist es ein bisschen wie mit dem FC Bayern München: Geld scheint keine Rolle zu spielen und Neider und Grantler verfestigen den Siegeszug eher noch. Neue Rekorde können freilich nicht mehr aufgestellt werden, denn mehr als drei Trophäen im Falle des FC Bayern beziehungsweise 6,5 Millionen Besucher auf der Wiesn sind einfach nicht drin. Aber der Umsatz steigt trotzdem.
2014 wird die Maß auf dem Oktoberfest wohl die Zehn-Euro-Marke knacken. Den Spesenrittern und knutschenden Promis ist das egal: Meistens bezahlt es sowieso jemand anders. Mehr als 74000 Hektoliter Bier wurden 2012 konsumiert und dieses Jahr wird es kaum weniger sein. Eine Million Maß flossen bereits am ersten Festwochenende durch die Kehlen.
Man glaubt es heute kaum, aber es gab Jahre, da war die Wiesn richtig „out“ bei den Jungen und Hippen. Doch in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, da zog das Fest, das auf die Vermählung des Kronprinzen Ludwig mit Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen aus dem Jahr 1810 zurückgeht, so richtig an – bis zum bisher unerreichten Rekord im Jahr 1985 mit 7,1 Millionen Besuchern. Seither pendeln die Besucherzahlen um die 6,5 Millionen und auch dieses Jahr werden es eher mehr als weniger werden.
Aber was wäre das Oktoberfest ohne die Kulturpessimisten und Grantler, die den Ruhm der Wiesn nur noch mehren und auch damit noch den einen oder anderen Euro für sich flottmachen. Einer, der sich wie kein Zweiter in den Grant über die „globalisierte Saufveranstaltung“ hineinsteigern kann, ist der Kabarettist und unangefochten führende zeitgenössische Franz-Josef-Strauß-Interpret Helmut Schleich.
Wortreich erregt sich Schleich in seinem Buch „Daheim ist ned dahoam“ über die „Neumünchner Schnösel und Arschgesichter, die das ganze Jahr davon leben, Leute zu bescheißen, um dann einmal im Jahr in Gaudi-Uniform auf ,den Wiesen‘ die Sau rauszulassen, bis ihnen ihre schwarz geränderten Designerbrillen vom Deppenschädel fallen“. Die Boulevardmedien sind immer dabei, wenn zum Beispiel Michael Ballack auf seine Ex-Frau trifft.
Auch die zünftigen Schlägereien, die sich in grauer Vorzeit die Buam aus dem Oberland mit den Stoderern (Städtern) lieferten, sind längst internationalisiert.
Schweizerin schwang Maßkrug gegen 38-Jährigen
Ja, es gibt sie noch, die gefürchteten Maßkrugschlägereien, trotz einer ständig größer werdenden Truppe von Security-Sheriffs und 400 auf dem Festgelände stationierten Polizeibeamten, aber die Mitwirkenden sind heute andere. Gleich am ersten Wiesn-Tag dieses Jahres zum Beispiel zog ein Niederländer einem Amerikaner einen Maßkrug über den Schädel. Eine 24-jährige Schweizerin unterzog einem 38-jährigen Deutschen derselben Behandlung.
Wer aber meint, heute noch die gepflegte Oktoberfest-Anarchie früherer Jahrzehnte fühlen zu können, liegt falsch. Irgendwie ist das Oktoberfest auch sehr deutsch geworden. Es gibt für alles feste Regeln, die minutiös überwacht werden: Für das Befahren mit Kinderwagen ebenso wie für das Trennen des Mülls, die Aufbereitung des Spülwassers, die von den Musikkapellen emittierten Phonstärken oder den Wiedereintritt in überfüllte Bierzelte.
Raucher werden in eigene Bereiche verwiesen und wer über die Stränge schlägt, wundert sich, wie schnell er von Ordnungshütern in Gewahrsam genommen und mit einer Anzeige wegen Widerstands – dieses Jahr offenbar eine besondere Vorliebe bayerischer Ordnungshüter – versorgt wird. Aktivisten des „Vereins gegen Betrügerisches Einschenken (VGBE)“ messen mit dem Millimeterlineal die Füllmengen peinlich genau nach. Alles in Käfige sperren, empfiehlt Grantler Schleich: „Trinker, Schläger, Frauen, Promis, Japaner, nur die Hendl nicht, die müssen unbedingt frei laufend sein.“
Auf der Oiden Wiesn wird unter sich gefeiert
Das alles veranlasst so manche richtige Münchner oder die sich dafür halten, auf Distanz zum Mega-Event zu gehen. Und deshalb hat man für sie die Oide Wiesn (altes Oktoberfest) erfunden — sozusagen eine Nostalgie-Ausgabe des Oktoberfestes unter Ausschluss der internationalen Knutsch- und Saufgemeinde.
Das Separat-Gelände ist umzäunt und wer hinein will, muss drei Euro extra abdrücken. Dafür kosten Fahrgeschäfte nur einen Euro. „Das ist die Kapitulation des bayerischen vor dem eigenen Nationalrausch“, spottet der Kabarettist Schleich: Man müsse ein zweites Oktoberfest gegen Eintritt ausrichten, „um dem Ganzen einen Hauch von münchnerischem Anstrich zu verleihen“.
Es war schon immer so in der Welthauptstadt des Grantelns: Was des einen Gaudi, ist des anderen Anlass für Hohn, Spott oder Ärger. So ist heute schon gut die Hälfte der Oktoberfest-Besucher in Tracht unterwegs „oder dem, was sie dafür halten“, pflegen Traditionalisten stets hinterherzuschicken.
Angefangen hat es vor einigen Jahren mit der Landhausmode in der irrigen Annahme, München hätte eine Tracht, die so ähnlich ausschaut. Ein Irrtum: Echte Trachten gibt es nur im bayerischen Oberland. „Was hat es mit Brauchtum zu tun, wenn man im Landhausdreck auf Volksfesten umeinanderstolpert?“, fragt der Humorist Günter Grünwald. Doch auch seine Schimpfkanonaden gegen den Landhaus-Trend haben den Trachten-Boom eher noch befördert. „Das Oktoberfest hat den Fasching abgelöst“, heißt es bei der Festleitung.
Und tatsächlich findet inzwischen alles Abnehmer, was auch nur die Anmutung von Lederhose und Dirndl hat. Hineingezwängt werden Menschen aller Kontinente und Sprachfärbungen. Inzwischen sollen sich Puristen nach der vergleichsweise gemäßigten Landhausmode zurücksehnen.
Dem Geheimnis der Oktoberfest-Maskerade sind Forscher aus Frankreich und den USA jetzt auf die Spur gekommen. Unter Einsatz vieler Liter Bier haben sie untersucht, wie sich Alkohol auf die Eigenwahrnehmung auswirkt. Ergebnis: Wer Bier trinkt, findet sich und andere attraktiver.
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