So ist der Schulhof-Alltag: Ein schwuler Schüler erzählt
10.4.2017, 15:00 UhrDie Schülerin findet Lutz gut. Ob sie es ihm sagen soll? Sie fasst sich ein Herz und geht auf Lutz zu. Doch seine Reaktion hat sie nicht erwartet: "Ich steh einfach nicht auf Mädchen", sagt er. Die Schülerin lacht unsicher. "Okay", antwortet sie dann, "da kann man nichts machen."
So ging es Lutz schon einige Male. "Das tut mir dann voll leid", sagt er über die Situationen, in denen er Mädchen abblitzen ließ. Doch inzwischen weiß er, dass sie einfach nicht sein Ding sind. Lutz ist homosexuell.
Der 17-Jährige geht noch zur Schule, auf ein Gymnasium in Nürnberg. Dass er schwul ist, wissen dort einige, aber nicht alle. "Solange niemand nachfragt, sehe ich keinen Grund, das zu erzählen", sagt Lutz.
Bisher geht es ohne Beleidigungen
Ein paar Jahre hat er gebraucht, um sich klar zu werden, was in ihm vorgeht. "Ich wollte das lange nicht zugeben, auch vor mir selbst nicht", erinnert sich Lutz. "Ich hätte auch voll gern Kinder." Erst seit einem guten halben Jahr ist er sich seiner Sache sicher - und erzählt es seinen Eltern. Für die sei es schwierig, erzählt Lutz, sie seien eher konservativ.
Am Gymnasium hatte er dagegen keine Probleme. "Bisher ist es top gelaufen." Keine Beleidigungen, keine Anfeindungen, keine Gewalt ihm gegenüber. Und auch keine der vielen Kraftausdrücke, die sich gegen Homosexuelle richten. "Schwuchtel", "Tunte", "Homo", "schwul": All das wird sonst auf Pausenhöfen als Beleidigung gerufen.
Mobbing im Klassenzimmer
Eine Umfrage an Berliner Schulen etwa kam 2012 zu dem Ergebnis, dass mehr als die Hälfte der befragten Schüler innerhalb des vergangenen Jahres "schwul" oder "Schwuchtel" als Schimpfwort bei ihren Klassenkameraden gehört hatte. Eine Studie der Europäischen Grundrechteagentur aus dem Jahr 2013 zeigte, dass mehr als 80 Prozent der Befragten negative Bemerkungen oder Mobbing in der Schule aufgrund der sexuellen Orientierung beobachtet haben. Zwei Drittel verheimlichten ihre sexuelle Identität aus Angst vor Mobbing gar.
Homosexualität steht nicht auf dem Stundenplan
Im Unterricht wird das Thema meist ausgeklammert. "Wir haben zwar ein paar homosexuelle Schüler, aber es wird nicht behandelt", erzählen Nihal und Lena, Schülerinnen am Christoph-Jacob-Treu-Gymnasium in Lauf. "Ich weiß noch nicht so viel darüber", ergänzt Lucia vom Neuen Gymnasium Nürnberg. Über Rassismus hätten sie in der Schule schon öfter geredet. Homosexualität stehe nicht auf dem Stundenplan.
Tatsächlich hat das bayerische Kultusministerium die Richtlinien für Sexualerziehung im Unterricht aus dem Jahr 2002 erst Ende vergangenen Jahres überarbeitet. Unterschiedliche sexuelle Orientierungen sollen in Zukunft "vorurteilsfrei von der Lehrkraft angesprochen" werden, heißt es in den neuen Richtlinien.
Das findet bisher eigentlich nur außerhalb des Unterrichts statt. Zum Beispiel in dem Workshop, in dem Nihal, Lena und Lucia sitzen. "Keine Chance für Homophobie an den Schulen" heißt er und findet auf der Netzwerktagung der mittelfränkischen "Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage" statt.
Eine lesbische Lehrerin? Klar!
Referentin Christine Burmann, stellvertretende Frauenbeauftragte der Stadt Nürnberg, spricht mit den Schülern über Menschenrechte, Diskriminierung und Toleranz. Für die meisten ist Homosexualität nicht nur ein abstraktes Thema. "Meine Mutter ist mit einem lesbischen Paar befreundet", erzählt eine, bei anderen ist es die Tante oder der beste Freund, die homosexuell sind.
Auch schwule Lehrer hatten einige schon. Manche berichten, wie schwule Mitschüler beleidigt wurden oder lesbische Lehrerinnen Probleme mit Kollegen bekamen. Nun wollen sie mehr über das Thema lernen.
Mehr Raum für Homosexualität
In Fragerunden und Gruppenarbeiten besprechen sie zum Beispiel die Gesetze, die verbieten, dass jemand wegen seiner sexuellen Orientierung benachteiligt wird. Oder darüber, wie sie mit homosexuellen Mitschülern oder Lehrern umgehen. "Ich würde nicht wollen, dass ein Lehrer als Erstes mit der Info kommt, dass er schwul ist", sagt eine Teilnehmerin. Es sei viel natürlicher, wenn das Thema beiläufig zur Sprache komme.
Viele zeigen echtes Interesse, wissen viel und denken mit. "Die Schüler sind nicht das Problem. Man sollte eher die Eltern fortbilden", sagt eine Teilnehmerin; andere stimmen ihr zu. Für Referentin Burmann ist entscheidend, dass dem Thema Homosexualität überhaupt Raum gegeben wird.
Das findet auch Lutz gut. Er habe Glück, dass das Klima an seiner Schule so tolerant sei, sagt er. Anders als bei seinen Eltern. Deshalb findet er vor allem eines wichtig: Jeder sollte so sein dürfen, wie er eben ist.
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