"Sichere Regionen in Afghanistan? Das ist eine Lüge! "

22.6.2018, 18:36 Uhr

© Foto: Brot + Zwiebel Productions/AP

"True Warriors" ist ein ungewöhnlicher Film über Afghanistan. Er handelt zwar auch von einem Selbstmordanschlag – etwas, das leider nicht so ungewöhnlich ist in der Hauptstadt Kabul. Aber der Film zeigt eine Perspektive, die wir sonst kaum wahrnehmen. Wie kamen Sie darauf?

Ronja von Wurmb-Seibel: Mein Partner Niklas Schenk und ich hatten selbst zwei Jahre in Kabul gelebt – 2013 und 2014 – und hatten da ganz viele starke, mutige, junge Menschen kennengelernt. Als wir dann von dem Anschlag gehört hatten – in dem Stück geht es ja um Selbstmordanschläge und darum, wie Menschen reagieren, wenn so etwas passiert –, haben wir dann einfach angefangen, mit den Leuten zu reden, die dabei waren. Wir dachten am Anfang, das wird eine ganz traurige, niederschmetternde Geschichte, waren dann aber völlig überwältigt von deren Mut und Entschlossenheit und dass sie so stark wieder auf die Bühne gekommen sind. Sie haben sich nicht abbringen lassen davon, was ihre Ziele sind.

In dem Film kommen etliche der Schauspieler zu Wort, die bei dem Anschlag dabei waren. Sie sprechen dort erstaunlich abgeklärt über das Geschehen, nicht wie Traumatisierte.

Wurmb-Seibel: Wir hatten zunächst auch gedacht, dass wir die Leute gar nicht würden interviewen können, dass sie davon gar nicht würden erzählen können. Wir hatten mit einem Traumatherapeuten in Hamburg gesprochen, ob wir das überhaupt machen können, worauf wir achten müssen. Wir waren dann wirklich überwältigt davon, wie stark die Leute waren. Man darf diese "Abgeklärtheit" nicht damit verwechseln, dass der Schmerz nicht mehr da ist. Das Ganze ist jetzt vier Jahre her, und alle haben die Erinnerungen an diesen Tag noch ganz nahe an ihren Herzen. Sie haben diese Angst schon, immer noch, wenn auch jeder ganz unterschiedlich. Sie leiden auch noch darunter. Gleichzeitig aber haben sie gesagt, sie wollen sich von dieser Angst nicht lähmen lassen.

© Foto: privat

Was machen die Schauspieler heute?

Wurmb-Seibel: Ganz unterschiedlich. Momentan sind sehr viele von ihnen in Deutschland. Das hat mit dem Film gar nichts zu tun. Sie wurden vom Deutschen Nationaltheater in Weimar zu einem Theaterprojekt eingeladen. Das Stück hieß "Malalai – Die afghanische Jungfrau von Orléans" (nach Friedrich Schiller). Da sind auch französische Schauspieler dabei, deutsche, eine Israelin. In fünf Sprachen wurde auf der Bühne gespielt. Ein großartiges Stück. Alle vier afghanischen Schauspieler haben derzeit Stipendien und studieren hier. Der eine studiert Regie, ein anderer Theater. Alle stehen auf der Bühne. Einer ist wieder zurück nach Kabul gegangen und unterrichtet dort an der Uni jüngere Schauspieler.

Welche Reaktionen gab es denn auf den Film?

Wurmb-Seibel: In Afghanistan wurde der Film nicht gezeigt – ganz bewusst. Das wäre sehr gefährlich, den Film jetzt dort im Fernsehen zu zeigen. Nicht so sehr für die Schauspieler – die sind in Afghanistan sowieso sehr bekannt -, aber für viele Leute im Publikum. Eigentlich alle Leute, die den Film gesehen haben und mit denen wir gesprochen haben, sind sehr bewegt von der Geschichte. Wir haben den Film in ganz unterschiedlichen Situationen gezeigt. Wir waren viel an Schulen, an Universitäten, wir haben ihn bei der Bundeswehr gezeigt, vor Soldaten, die selbst in Afghanistan waren. Wir werden ihn in Afghanistan bei den dort stationierten Soldaten zeigen. Also, wir versuchen, ganz viele Menschen zu erreichen. Und die Reaktion ist immer sehr, sehr bewegt. Wir haben rund 100 Filmgespräche gemacht, und da waren eigentlich immer viele Tränen im Publikum. Es ist sehr traurig, aber was die Menschen uns auch gesagt haben: Es ist eine sehr ermutigende Geschichte, weil die Leute eben so stark sind.

Aus Deutschland werden Flüchtlinge aus Afghanistan wieder vermehrt in die Heimat abgeschoben, nicht nur solche, die Delikte begangen haben. Besonders Bayern tut sich hier hervor. Wie finden Sie das?

Wurmb-Seibel: Das finde ich natürlich sch….! Ich komme aus Bayern, bin in der Nähe von München aufgewachsen und mit der Situation gut vertraut. Was mich besonders ärgert, sind die ganzen Worte, die in diesem Zusammenhang benutzt werden. Nicht nur dieses Unwort vom "Asyltourismus", das Herr Söder benutzt hat. Es wird ja immer wieder behauptet, dass Afghanistan angeblich sicher genug ist, dass es dort sichere Regionen gibt. Das ist eine Lüge – und das wissen die Politiker auch. Es gibt von der UN Statistiken, wo ganz genau aufgeführt wird, wie viele Menschen getötet und wie viele verwundet wurden. Diese Statistik kommt jedes halbe Jahr heraus, und seit 2012, als ich das erste Mal in Afghanistan war, ist es immer schlechter geworden. 2012 hat man gesagt, Afghanistan sei zu gefährlich, um dorthin abzuschieben. Sechs Jahre später, in denen alles schlimmer geworden ist, sagt man, es sei sicher genug, um wieder abzuschieben. Das ist eine Lüge, und ich finde das ganz fatal.

Warum?

Wurmb-Seibel: Jeder Afghane hier in Deutschland muss sich ständig rechtfertigen: ,Warum bist du noch hier, obwohl es doch gar nicht so unsicher ist in Afghanistan?‘ Das ist ein massiver Druck für die Betroffenen. Man kann ja entscheiden, dass man trotzdem abschiebt. Das fände ich zwar nicht gut, aber das wäre eine Entscheidung, die man treffen könnte. Dann wäre es eine ehrlichere und aufrichtigere Debatte. Aber das ist offenkundig ein heikles Thema. Man muss sich vor Augen führen, dass Deutschland in den vergangenen 17 Jahren sehr, sehr viel Geld ausgegeben hat für Afghanistan. Es wurden sehr viele Entwicklungshelfer und Soldaten dorthin geschickt. Mehr als 50 Soldaten sind dort gestorben. Der Druck ist innenpolitisch so hoch. Das sagt ihnen jeder Politiker, mit dem sie sprechen. Sobald man sagt: ,Afghanistan ist nicht sicher‘, ist unser ganzer Einsatz gescheitert. Das hängt alles miteinander zusammen. Deswegen wäre es ganz wichtig, das offen zu diskutieren und eine ehrliche Bilanz zu ziehen. Das wäre nicht nur wichtig für die geflüchteten Afghanen, sondern auch für die deutschen Steuerzahler, damit sie wissen, was unser Geld dort bewirkt hat. Sonst werden sich diese Fehler auch bei anderen Einsätzen immer wiederholen.

Ganz andere Frage: Der Anschlag, um den sich Ihr Film dreht, wurde bei einer Theateraufführung verübt. Wer hat in Afghanistan derzeit überhaupt noch die Muse, sich ins Kino oder in eine Theateraufführung zu setzen?

Wurmb-Seibel: Aus deutscher Sicht stellt man sich Kultur vielleicht als etwas vor, was man genießt und wo man abschalten und einen schönen Abend haben kann. Aber ich glaube, in Afghanistan oder überhaupt in Kriegsgebieten hat Kultur aus meiner Sicht eine ganz andere, viel wichtigere Funktion, nämlich, dass man sich als Gesellschaft über wichtige Themen austauscht, was sonst nicht auf diese Art zustande kommt. Da war dieses Theaterstück, bei dem dieser Anschlag passiert ist, ein ganz gutes Beispiel. Da ging es um Selbstmordanschläge, um Drohnenangriffe und Bombardierungen – und darum, wie Menschen mit dieser Gewalt umgehen. Und es ging auch darum, eine Vision von Frieden zu entwickeln. Diese beiden Themen sind so drängend in der afghanischen Gesellschaft, weil dort jeder entweder selbst so einen Anschlag erlebt oder ein Familienmitglied oder Freunde verloren hat. Man spricht aber kaum darüber. Da ist Kultur unersetzlich.

 

Der Dokumentarfilm "True Warriors" wird am Montag, 25. Juni, und Dienstag, 26. Juni, jeweils 18.30 Uhr, im Filmhaus Nürnberg gezeigt. Anschließend findet ein Gespräch mit der Filmemacherin Ronja von Wurmb-Seibel statt.

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