Als Charisteas die Hertha zur Weißglut trieb

29.6.2018, 19:48 Uhr
Als Charisteas die Hertha zur Weißglut trieb

© Sportfoto Zink

Berliner Olympiastadion, 13. März 2010, 17:21 Uhr. In einer mit offenem Visier geführten Nachspielzeit legt der FCN noch einmal den Vorwärtsgang ein. Die spielentscheidende Szene hat Angelos Charisteas genau vor Augen. Mike Frantz schickt Ilkay Gündogan mit einem Steilpass auf die Reise. Gündogan rennt auf Hertha-Schlussmann Jaroslav Drobny zu, schiebt den Ball quer zum mitgelaufenen Griechen. Dieser drückt ihn abgeklärt über die Linie.

Unmittelbar nach der 1:2-Heimpleite stürmten Chaoten im Olympiastadion das Spielfeld.

Unmittelbar nach der 1:2-Heimpleite stürmten Chaoten im Olympiastadion das Spielfeld. © Sportfoto Zink

Der inzwischen 38-jährige Charisteas verwendet in der Rückschau die Wörter "wichtig" und "emotional" auffällig oft. "Es war ein Dreier, der uns die Luft gab, den Klassenerhalt zu schaffen", sagt Charisteas. Ein Angreifer, der bereits im EM-Finale 2004 bewiesen hat, dass er ein Mann für wichtige Tore ist. Ein Teamplayer, der im Clubtrikot stets engagiert, meist aber glücklos blieb - und dem Letzeres bis heute leid tut.

In Berlin ist Charisteas‘ Joker-Tor ein purer Glücksmoment, der auf dem Feld jedoch nicht lange währt. Den Abstieg vor Augen stürmt ein Hertha-Mob nach Abpfiff den Platz und lässt seine Wut an Trainerbank und Werbetafeln aus. Harry & Co. flüchten Hals über Kopf in die Katakomben.

Das Duell Hertha gegen Club ist ein besonderes! Zum ersten Mal waren sich beide Vereine in der Bundesliga 1963 gegenüber gestanden  - am 1. Spieltag der just etablierten deutschen Eliteklasse: Der unvergessene Max Morlock markiert im Olympiastadion den ersten von bislang 1402 Bundesliga-Treffern des FCN. Bis zur Führung hat viermal das Torholz der Nürnberger Erfolgspremiere im Weg gestanden! Kurz vor der Pause zielt die Club-Legende genauer und spitzelt den Ball an Hertha-Keeper Wolfgang Tillich vorbei in die Maschen.

Die Entscheidung zum Saisonauftakt im August 2011: Tomas Pekhart hat den Ball nach dem Pass des just zuvor eingewechselten Jens Hegeler kurzentschlossen ins kurze Eck bugsiert.

Die Entscheidung zum Saisonauftakt im August 2011: Tomas Pekhart hat den Ball nach dem Pass des just zuvor eingewechselten Jens Hegeler kurzentschlossen ins kurze Eck bugsiert. © dapd

Ein knappes halbes Jahrhundert später, auch an einem 1. Spieltag, bedeutet Nürnbergs einziger Treffer an gleicher Stätte einen verdienten Auftakterfolg. Die Hausherren, die sich als Aufsteiger in der Bundesliga zurückgemeldet haben, zeigen sich Anfang August 2011 hypernervös. Die Club-Akteure präsentieren die reifere Spielanlage und flüssigere Offensivansätze. In der Schlussphase bringt Trainer Hecking Jens Hegeler. Der setzt sich auf der linken Außenbahn durch, passt klug nach innen. Tomas Pekhart, Nürnbergs Neuzugang, drückt den Ball aus kurzer Distanz ins kurze Eck - 1:0, Auswärtssieg! 

Raffael und Rafati bringen den Club dem Abstieg näher

Im Mai 2008 ist das Stimmungsbild derweil ein anderes: Die 0:1-Niederlage bei Hertha versetzt den FCN in Schockstarre. Im Spiel selbst hatten sich die Berliner auf gemächlichen Sommerfußball beschränkt, die nervösen Nürnberger die Einladung jedoch nicht angenommen, ihre Feldüberlegenheit in Tore umzumünzen. Eine Viertelstunde vor Schluss erteilt Raffael dem Club Anschauungsunterricht in Sachen Abschlussstärke und steuert wie Schiedsrichter Babak Rafati seinen Teil zu einem aus Nürnberger Sicht veritablen Miese-Laune-Nachmittag bei. Es kommt wie es kommen musst: Sieben Tage später ist der siebte Bundesliga-Abstieg des FCN amtlich.

Um den Klassenerhalt geht es für den FCN auch im August 1991: In Berlin revanchiert er sich durch ein 4:2 für die blamable 1:4-Heimpleite aus der Hinrunde - einem von lediglich drei Hertha-Siegen in der Erstliga-Spielzeit 1990/91. Im mit nur 7570 Zuschauern gefüllten Stadion geben die 3000 Clubfans den Ton an. Umso lauter, als Jörg Dittwar sie früh jubeln lässt und durch einen verwandelten Foulelfmeter nachlegt. Marc Oechler will dem nicht nachstehen und zieht durch ebenfalls zwei Treffer mit dem Strafstoß-Spezialisten in der mannschaftsinternen Schützenliste gleich. Als Hansi Dorfner die Kreativzentrale verlässt, kommen die Berliner bis auf zwei Tore heran. Da es zu mehr nicht reicht, ist für das Team von Arie Haan die Gefahr des direkten Abstiegs indes gebannt.

In der Zweitliga-Saison 1984/85 hatte auch der junge Andy Köpke, damals noch im Hertha-Trikot, den Sturmlauf der "Jungen Wilden" unter Trainer Heinz Höher nicht stoppen können. (Nach einer Sensations-Rückrunde mit 29:9 Punkten stieg der Club in dieser Saison auf). Der Hertha-Keeper, der ein Jahr später in die Noris wechseln sollte, stemmte sich nach Leibeskräften gegen die Angriffswellen, die im Mai 1985 auf sein Gehäuse rollten. Doch drei Einschläge in seinem Kasten kann auch der spätere Nationaltorwart nicht verhindern. Als Torschützen fungieren einmal Dieter Eckstein und mit Doppelpacker Stefan Reuter ein erst 18-jähriger Hochgeschwindigkeitsfußballer.

"Hi-ha-ho, Hertha ist k.o."

Ebenfalls gute Laune hatten die Club-Anhänger, die ihren Lieblingsverein im Juni 1927 ins Berliner Grunewaldstadion begleiteten. Dort zaubert zu Beginn nur die Club-Offensive - mit raschem Erfolg: Hans Kalb jagt die Kugel per kernigem Freistoß ins linke untere Eck – 1:0! Im zweiten Durchgang legt Heiner Träg das 2:0 nach: Der Sturmtank marschiert schnörkellos aufs gegnerische Tor und knallt das Leder trocken ins Gehäuse. Nürnbergs fünfte Meisterschaft ist perfekt. Vor dem Anpfiff hatte der Schlachtruf: "Ha-ho-he, Hertha BSC" alles übertönt. Nach Spielende dröhnt der Kontergesang über die Wipfel des Grunewaldes: "Hi-ha-ho, Hertha ist k.o.".

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