Liebeserklärung: Der Club war für Entenmann "Reiz pur"
4.1.2012, 10:54 Uhr"Der VfB war mein Leben, der Club bedeutete meine größte Emotion." Als Willi Entenmann rund zwei Wochen vor seinem Tod diese Aussage trifft, hat sie nichts Aufgesetztes. Alles, was Willi Entenmann davor und danach aus seinem Spieler- und Trainerleben erklärend, unterhaltsam und leidenschaftlich erzählt, ist authentisch.
"Sie müssen meine Schleifen schon mitgehen, wenn Sie meine Geschichte verstehen wollen", mahnt mich der 68-Jährige, als ich ihn in seinem Haus in Affalterbach kurz vor Weihnachten bitte, ein paar Wegmarken seiner Spieler-Laufbahn etwas schneller zu passieren. Ich werde seine Geschichte in den kommenden fünf Stunden, die er mit Erzählen füllt, kaum noch unterbrechen, sie ist stimmig.
Willi Entenmanns Karriere beginnt Anfang der 60er im kleinen Benningen in der Nähe von Marbach. Neben seinen späteren Mannschaftsaufstellungen hat der ehemalige Bundesliga-Coach auch alle Schlagzeilen über sich gespeichert. Auch die über damals, als er als schneller Goalgetter in Württemberg für Furore sorgte und der VfB Stuttgart ihn verpflichtete.
Geradlinig und strebsam
Identifikation mit dem Verein war für Spieler, die in dieser Zeit meist aus der jeweiligen Stadt oder Region stammten, eine Selbstverständlichkeit. Identifikation und Loyalität sollten aber auch danach Grundprinzipien bleiben, welche Entenmanns Verhältnis zu seinen Arbeitgebern nachhaltig prägten. 1965 hatte sich der Angreifer zu den VfB-Profis hochgearbeitet. Dort beantwortete er Trainerschelte mit mehr Aktivität. Mit mehr Laufen und Grätschen - und spielte sich so in der ersten Mannschaft fest.
Ein neues Betätigungsfeld war bald das defensive Mittelfeld. Und Entenmann machte seinen Job dort gut. In der Saison 1969/70 nahm er nicht nur Feingeister wie Wolfgang Overath oder Günther Netzer aus dem Spiel. Nach konsequenter Balleroberung stieß er auch energisch mit nach vorne. Im direkten Aufeinandertreffen mit Netzer auf dessen Gladbacher Spielwiese schoss er nach diesem Strickmuster drei Tore.
Auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft wurde der Schwabe zum Vorbereitungstreffen der deutschen Nationalmannschaft für die WM 1970 eingeladen. Er wähnte sich schon im Flieger nach Mexiko - doch es entwickelte sich eine Geschichte, die bis zum Ende an ihm nagte. Auf Anweisung von Bundestrainer Helmut Schön wurde Entenmann im Spiel der A-Nationalmannschaft gegen die B-Auswahl nicht von Beginn an eingesetzt. Sein WM-Traum sollte platzen, Tränen der Verzweiflung wurden zu Tränen des Zorns. Als Entenmann nach einem 0:4-Halbzeitstand endlich bei der B-Elf eingewechselt wurde, geriet sein Auftritt für die auf dem Spielfeld vorgewarnten Gerd Müller & Co. zu einem turniergefährdenden Amoklauf.
Fordern und Fördern
Weniger wütend, aber mit ernster Entschlossenheit widmete sich Entenmann seiner Realschullehrer-Tätigkeit. Auch unmittelbar vor Trainingseinheiten zu wichtigen Spielen auf nationalem oder europäischem Parkett gab er Sportunterricht im benachbarten Marbach.
Als sich 1976 seine Verletzungen häuften, hängte er nach rund zwölf Jahren Bundesliga und 237 Einsätzen beim VfB Stuttgart die Fußballstiefel an den Nagel, und konzentrierte sich auf die Schule. Schnell schon aber bat ihn Gerhard Mayer-Vorfelder, Stuttgarts langjähriger Vereinsboss, seine Qualitäten im Bereich Talentförderung für die in die Verbandsliga abgerutschten VfB-Youngster einzusetzen. Entenmann formte Spieler wie Rainer Adrion, Günther Schäfer oder Andreas Müller. Er etablierte neue Trainingsmethoden und schuf einen Unterbau, von dem die erfolgreiche Nachwuchsarbeit des VfB noch heute profitiert.
Bald sollte auch die erste Mannschaft des schwäbischen Bundesligisten wieder von ihm profitieren. 1984 hatte Entenmann als Co-Trainer von Helmut Benthaus großen Anteil am Gewinn der Deutschen Meisterschaft. Zwei Jahre später korrigierte er nach der Entlassung von Otto Baric als Chefcoach einen bis dahin verkorksten Saisonverlauf, nahm Führungsspieler in die Pflicht, animierte Jürgen Klinsmann zu seinem legendären Fünferpack in Düsseldorf. Er dirigierte den VfB auf Rang fünf und ins DFB-Pokalfinale. Presse, Fans und Sponsoren in der Neckar-Metropole überboten sich in Superlativen, was "Einer von Uns" aus dem Verein herausholte. Der Gepriesene blieb bescheiden. Und ein akribischer Arbeiter - zurück im zweiten Glied und zum zweiten Mal in Cheftrainer-Verantwortung, als Nachfolger von Arie Haan ab März 1989.
Trikotsammler in der Lohrheide
Auch bei seinem ersten Engagement beim 1. FC Nürnberg stand Entenmann Haan zunächst zur Seite und sorgte als Assistent des Niederländers für die sportliche Kehrtwende. Er wirkte motivierend auf Dieter Eckstein ein - dieser dankte es beim richtungsweisenden 3:2-Heimsieg gegen den VfL Bochum mit drei Treffern.
Zum Saisonfinish in der Wattenscheider Lohrheide, das der Club dank Hansi Dorfners frühem Treffer mit 1:0 gewann, betätigte sich der Schwabe zudem als Trikotsammler. Die mitgereisten Fans, die sich schon in der Schlussphase nervös am Spielfeldrand drängelten, mussten - nachdem sie noch vor dem Schlusspfiff den Platz gestürmt und die FCN-Spieler ausgezogen hatten - ihre eigenen Shirts und Turnschuhe bei Entenmann abgeben, damit die Partie zu Ende gespielt werden konnte. Als Schiedsrichter Markus Merk dann wirklich abpfiff, kannte der Jubel kein Halten mehr. Für “Wattenscheid-Flitzer“ Jörg Dittwar sollte dennoch kein Kleidungsstück übrigbleiben.
Im Anschluss bemühte sich Hertha BSC um die Dienste Entenmanns. Doch der blieb, beim FCN nur mit einem Vertrag bis Saisonende ausgestattet, ohne Zusage auf Verlängerung am Valznerweiher. Die Bundesliga-Saison 1991/92 begann mit Fußballehrer Entenmann statt Weltmann Haan als Cheftrainer und einer derben 0:4-Klatsche in Rostock. "Ein echter Wachrüttler", sagt Entenmann. "Ich habe die Jungs danach richtig heiß gemacht". Mit Youngstern wie Christian Wück berappelte sich der Club und bekam Zug in die Auftritte einer Saison, die er auf einem tollen siebten Platz abschließen sollte. Die Grundlage dafür war auch, dass es für Stars bei Gruppendynamiker Entenmann keine Extra-Würste gab. Frei nach dem Motto: Das Auslaufen ist erst fertig, wenn Zarate fertig ist, kam auch der mitunter lauffaule Ballzauberer - mitunter vehement angehalten von Kapitän Andy Köpke - nicht an seinem Pensum vorbei.
Klartext: Entenmanns Erstes Gebot
Während sich der Club auf dem Feld erfolgreich präsentierte, drohten außerhalb des Platzes die Lichter auszugehen. Entenmann bereiteten diese Dinge große Sorgen, freuen konnte er sich über den Zuspruch der Clubfans. Bereits nach einem halben Jahr wurde er in der Noris von der Gemüsefrau auf dem Hauptmarkt ebenso wie vom Verkehrspolizisten mit "unser Trainer" angesprochen. Einer von ihnen zu sein, das imponierte Entenmann, sagte er. Sie, die Fans, zu verstehen, einer von ihnen zu sein, war für Entenmann sogar das Erste Gebot: “Der Verein besteht aus den Mitgliedern und seinen Fans. Wir sind alle austauschbar: Mannschaft und Trainer. Wissen Sie, wer immer die Gleichen sind…“, schrieb er den Vereinsoberen nicht nur einmal ins Stammbuch.
Und in der Folge entstand aus Wertschätzung, Zuneigung und dem, was Entenmann von den Anhängern zurückbekam, mehr. Die Bindung zwischen dem seriösen Trainer, der sich zusehends heimischer fühlte, und dem Anhang wurde immer enger. Das Verhältnis zur neuen Club-Führung unter Präsident Gerhard Voack stand derweil schon vor dessen Wahl unter keinem guten Stern. Neben dem umstrittenen Nacht- und Nebel-Transfer von Dieter Eckstein zum FC Schalke 04, dessen Umstände von Voack und Entenmann stets unterschiedlich geschildert wurden, gab es weitere Zündfunken.
Einige Themen sind dabei so brisant, dass Entenmann nach seinem ersten Arbeitsende in Nürnberg bewusst “auf Tauchstation ging, um dem Verein nicht zu schaden“. Während sich die Akteure neben dem Platz immer häufiger zofften, zeigten die Akteure auf dem Platz der Saison 1993/94 unter der Anleitung ihres Trainers zwei Gesichter. Auswärts setzte es ein Negativerlebnis nach dem nächsten. Auf eigenem Feld lief es für das Entenmann-Team, das seine Hausaufgaben mehr als ordentlich erledigte. Dynamo Dresden wurde mit 3:0 weggebügelt, der VfB Leipzig gar mit 5:0. Nach einer erneuten Auswärtspleite (0:1 in Duisburg) und einem Freundschaftsspiel in Ansbach, bei dem der Nürnberger Mannschaftsbus nach langer Wartezeit ohne Geschäftsstellenleiter Bernd Ingerling abfuhr, war eine neue Eskalationsstufe zwischen Voack und Entenmann erreicht.
2:0 gegen die Bayern - und dann die kalte Dusche
Als am darauffolgenden Bundesliga-Spieltag im November 1993 der FC Bayern München in der Noris zu Gast war, wurde dem Trainer kurz vor Anpfiff gesteckt, dass der Präsident auf der Tribüne seine Entlassung verkündete. Entenmann blieb beherrscht, brannte aber innerlich darauf, dass seine Jungs den großen Coup landen würden. André Golke und Hans-Jörg Criens erfüllten ihm den Wunsch - der FCN siegte 2:0. Wieder einmal gab es das, was Entenmann mit Blick auf die frenetische Unterstützung der Club-Fans “Volksfest“ nennt. Doch ein seltsam lethargischer Entenmann feierte nicht mit. Er stellte sich nach Spielende in voller Montur unter die Dusche. Bei der anschließenden Pressekonferenz hatte er die Tränen in den Augen, die er auch im Vorfeld der WM 1970 hatte.
Nach seiner Rückkehr ins Stuttgarter Nest, wo Entenmann zwischen 1994 und 1996 erneut die VfB-Amateure betreute, rief im Frühjahr 1996 - während einer Mitgliederversammlung im Kursaal - Michael A. Roth in Cannstatt an. Der Herzensnürnberger überlegte, darüber informiert, keine Minute. Er wusste, dass er sich in der Stadt, als “Einer von Uns“ wieder genau so wohl, vielleicht noch wohler fühlen würde. Gerhard Mayer-Vorfelder erklärte ihn für verrückt, wieder bei den mittlerweile bis in die Regionalliga Süd abgerutschten Franken anzuheuern. Entenmann berichtete ihm vom "Phänomen Club". Er berichtete ihm darüber, dass er mit dem FCN aufsteigen wolle. "Der Club war für mich Emotion, das war Reiz pur. Die Entscheidung, beim FCN erneut zu trainieren, ihn wieder nach oben zu führen, das war eine, die ich nicht mit dem Verstand, sondern nur vom Herz her getroffen habe", sagte mir Willi Entenmann. Rund zwei Wochen später hörte dieses Herz für immer auf zu schlagen.
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